Neue Klassik: Finanztest verirrt sich bei Aufklärung von Irrtümern

Die Transparenz von Lebensversicherungen lässt an einigen Stellen zu wünschen übrig. Finanztest wollte mit 12 Irrtümern aufräumen, irrt aber selbst manchmal und bleibt Alternativen für die Altersvorsorge schuldig.

07:08 Uhr | 10. August | 2020
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Finanztest warnt vor dem Abschluss von Policen der „Neuen Klassik“ und von Indexpolicen wegen zu niedriger Garantien, nennt aber keine Alternative zur gescheiten Altersvorsorge. Bild: Pixabay/Gerd Altmann

Lebensversicherungen sind der wichtigste Zusatzbaustein der Deutschen für Vorsorge und Absicherung. Doch allzu oft wissen Kunden nicht genau, was ihr Vertrag leistet, meint die Stiftung Warentest. Daher hat sie die ihrerseits maßgeblichen 12 Irrtümer zur Lebensversicherung benannt und in der Mai-Ausgabe von Finanztest Aufklärung versprochen.

Es sei dahingestellt zu beurteilen, ob es sich dabei um sehr wichtige oder weniger wichtige Irrtümer handelt. Fakt ist: Die Lebensversicherung wird weiterhin in der traditionellen Art von Verbraucherschützern schlechtgeredet, die man seit Jahren von der Verbraucherzentrale Hamburg oder dem Bund der Versicherten kennt (procontra berichtete). An keiner Stelle des dreiseitigen Artikels erfährt der Leser jedoch, was eine brauchbare Alternative für seine Altersvorsorge sein könnte.

Vertrag behalten, aber neue Verträge ausschlagen?

Immerhin raten die Tester vom Berliner Lützowplatz, bestehende Verträge am besten durchzuhalten. „Wenn der Vertrag schon länger als fünf Jahre läuft, sind meist die Abschlusskosten bezahlt und es fließt nun mehr von Ihrem Beitrag in Ihren Spartopf“, schreibt Finanztest.

Von neuen Verträgen wird aber pauschal abgeraten. O-Ton: „Schließen Sie zur Altersvorsorge keine Kapital­lebensversicherung und keine der neu angebotenen privaten Rentenversicherungen mit abgesenkten Garantien ab („Neue Klassik“ und Index­policen).“ Kritikpunkt zur Begründung: Man erfahre nicht, wie viel vom Beitrag wirklich gespart wird. Außerdem sei die bei Vertragsschluss garantierte Leistung zu niedrig.

Mit Verlaub: Das ist richtig und falsch zugleich. Auch bei alten Klassikpolicen wird der garantierte Rechnungszins beim Neuabschluss immer geringer; ab 2021 werden vermutlich nur noch 0,5 Prozent garantiert (procontra berichtete). Das liegt aber nicht an den Versicherern, sondern an der EZB-Politik künstlich niedrig gehaltener Zinsen, um die EU-Länder des Südens vor der Staatspleite und die EU vor dem Kollaps zu bewahren. Leiden müssen darunter auch Sparer von Zinsanlagen bei den Banken. Das klar zu benennen dürfte man auch von einer staatsnahen Stiftung Warentest erwarten.

Folge: Schon jetzt kommt für bei einer 100-Prozent-Beitragsgarantie am Ende nie die Summe eingezahlter Beiträge für den Kunden heraus (procontra berichtete). Falsch ist also die Hoffnung, dass unter diesen finanzpolitischen Vorzeichen mit sicheren Kapitalanlagen überhaupt noch eine hohe garantierte Leistung möglich ist.

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Tester sollten EZB und Politik kritisieren

Tatsächlich bringen Verträge der „Neuen Klassik“ mit abgesenkten Garantien nicht sicher mehr Ertrag als Verträge mit voller Garantie („Alte Klassik“), aber sie bieten zumindest die Chance auf mehr Ertrag. Grund: Die eingesparten Absicherungskosten für die volle Garantie können der freien Kapitalanlage zugutekommen. Die Neue Klassik kommt also mit weniger Geld im Deckungsstock aus und hat mehr Kapital für die Fondsanlage oder alternative Investments zur Verfügung (procontra berichtete).

Ähnlich ist es bei Indexpolicen: Bei diesen konventionellen Rentenversicherungen wird die Überschussbeteiligung zur Finanzierung der Indexpartizipation verwendet. In guten Jahren bringt das mehr Ertrag, in schlechten womöglich keinen Wertzuwachs im Vertrag (procontra berichtete).

Finanztest meint, dass es sich nicht lohnt, in der Hoffnung auf höhere Überschüsse auf volle Garantien zu verzichten. „Es gab keine guten Angebote mit weniger Garantie“, heißt es mit Verweis auf den letzten Test privater Rentenversicherungen (Dezember-Heft 2019), wo alte und neue Klassik verglichen worden waren.

Konträre Bewertung von Rentenpolicen

Das sieht das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) ganz anders. Im aktuellen Rating für private Rentenversicherungen wurden 31 von 145 Tarifen mit der Höchstnote „exzellent“ bedacht. Weitere 88 Tarife gingen als „sehr gut“ durch und 25 mit „gut“. Bewertet wurden 6 verschiedene Produktkategorien: Klassik, Neue (Klassik Plus), Index, fondsgebunden mit und ohne Garantien sowie Comfort. Bei Klassik Plus wurde einzig die Allianz („PrivatRente Perspektive“) exzellent bewertet; 16 Angebote erhielten das Prädikat „sehr gut“ (procontra berichtete).

Ganz nebenbei: Die laufende Gesamtverzinsung für Lebensversicherungen über alle Produktarten und Tarifgenerationen hinweg sinkt gegenüber 2019 leicht um 0,09 Prozentpunkte und liegt im arithmetischen Mittel bei 2,74 Prozent (2013: 3,63 Prozent). Das zeigte die Studie „Überschussbeteiligung 2020“ der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur (procontra berichtete).

Branche mit viel Kreativität, um Garantien zu bedienen

Das kann sich angesichts fehlender Alternativen bei sicheren Anlageformen sehen lassen. Die Branche verzeichnete 2019 die stärksten Zuwächse bei Produkten der Neuen Klassik, Index- sowie Hybridpolicen. Auch fondsgebundene Lebensversicherungen konnten im Neugeschäft zulegen (procontra berichtete).

Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) verzeichneten Lebensversicherer 2019 ein Beitragsplus von 11,3 Prozent. Wie dem Jahrbuch „Die deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2020“ zu entnehmen ist, bestanden zuletzt 87,1 Millionen Verträge bei Lebensversicherern und deren Pensionskassen und Pensionsfonds (2018: 87,7 Millionen). Davon entfallen über 50 Prozent auf Rentenversicherungen - rund 44 Millionen Verträge (procontra berichtete).

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