„Jeden Vierten trifft es“ – bei dieser Statistik weiß jeder Vermittler sofort, um welches Thema es geht: Berufsunfähigkeit. Seit Jahren hält sich diese Wahrscheinlichkeit, dass einer von vier Erwerbstätigen seinen Beruf vorzeitig aufgeben muss. Seit Jahren weisen Politik, Versicherungswirtschaft und Vermittler auf die Notwendigkeit einer privaten Absicherung dieses Risikos hin. Nicht nur aufgrund der Statistik, sondern vor allem, weil der Gesetzgeber seit Jahren nicht mehr leistet. Doch trotz dieser Dringlichkeit, sichern noch immer zu wenige Erwerbstätige dieses existenzielle Risiko ausreichend ab.
Das belegt auch die aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag der Gothaer. Das Ergebnis gleicht den Erhebungen der Vergangenheit: Die Deutschen sind sich des allgemeinen Risikos bewusst, blenden es für sich persönlich weitestgehend aber aus, was in einer unzureichenden Absicherung mündet. 44 Prozent haben sich laut Umfrage nicht gegen den Verlust der Arbeitskraft abgesichert, 62 Prozent nennen jedoch die Berufsunfähigkeitsversicherung als Toplösung zur Absicherung ihrer finanzieller Lebensrisiken. Das eigene BU-Risiko wird jedoch verdrängt: 73 Prozent schätzt das Risiko für sich persönlich als „gering“ oder sogar „sehr gering“ ein.
Wo lässt sich also der Hebel wirkungsvoller ansetzen, wenn er über Zahlen und Statistiken anscheinend kraftlos bleibt? Warum gelingt keine flächendeckendere Absicherung? Welche Produktverbesserungen würden mehr Menschen den wichtigen Versicherungsschutz ermöglichen? Welche Fehler werden im Beratungsansatz gemacht? Darüber sprach procontra mit Experten aus Vertrieb, Produktentwicklung und Analyse.
AKS-Expertenrunde bei procontra:
Michael Franke Geschäftsführer, Franke und Bornberg Björn Bohnhoff Vorstand Leben, Zurich Gruppe Deutschland Sebastian Koch Leiter Marktbearbeitung, Swiss Life Christian Häsch Leiter Vertriebsdirektion Süd, Alte Leipziger Ingo Gerlach Produktmanager, Basler
Wartezeiten statt Gesundheitsfragen nicht zielführend
Mit der Aufarbeitung der Gesundheitshistorie sind Vermittler und Kunden regelmäßig überfordert. Zu viele Gesundheitsfragen mit zu langen Zeiträumen, die abgefragt werden, erhöhen nicht nur Komplexität im Antragsprozess, sondern auch das Risiko einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Ein Vorschlag aus der Branche, die Gesundheitsfragen abzuschaffen und durch Wartezeiten zu ersetzen, erscheint jedoch nicht zielführend.
„Erst komplexe Gesundheitsfragen im Antrag ermöglichen dem Vermittler mehr Kunden zu versichern“, behauptet Michael Franke, Geschäftsführer von Franke und Bornberg und erklärt: „Gibt der Kunde bei einer einfachen Fragenstruktur eine Vorerkrankung an, ist er sehr schnell nicht mehr versicherbar. Öffnet sich jedoch ein Fragenbaum, der diese Vorerkrankung in ihrer Schwere, Dauer und Häufigkeit spezifiziert, so kann der Versicherer das Risiko individueller bewerten und schlussendlich mehr Kunden versichern.
Viele und komplexe Gesundheitsfragen in der Arbeitskraftabsicherung sind erforderlich und Teil der Beratung.“ „Entscheidend ist, dass die Fragen übersichtlich, verständlich und gut strukturiert sind. Dann spielt die Menge keine große Rolle“, bestätigt auch Sebastian Koch von der Swiss Life. Unisono sprachen sich alle Experten gegen Wartezeiten anstelle von Gesundheitsfragen aus. Hier entstünde in jedem Fall eine Deckungslücke für den Kunden, die nicht zu akzeptieren wäre. „Außerdem gibt es Krankheitsbilder und -verläufe, wie zum Beispiel Diabetes, die über einen längeren Zeitraum sehr sicher zu einer Berufsunfähigkeit führen“, ergänzt Björn Bohnhoff von der Zurich.
Nach Unisex nun Unijob-Tarife?
Ebenfalls stößt das Gebaren rund um die Einteilung in Berufsgruppen auf Kritik aus der Maklerschaft. Über Jahre hätten die Gesellschaften mit Ihrer ausufernden Berufsgruppen-Einteilung große Teile der Bevölkerung beitragsmäßig vom Versicherungsschutz über eine BU-Police ausgeschlossen. Diese „Rosinenpickerei“ nach guten Risiken führte dazu, dass die Berufe, die ein besonders hohes BU-Risiko haben, auf der Strecke geblieben sind. Darunter fielen nahezu alle Berufe, in denen körperliche Arbeit erforderlich ist.
Dennoch wird man die Einteilung in Berufsgruppen nicht abschaffen können, wie es aus Teilen der Vermittlerschaft vorgeschlagen wurde. Franke begründet: „Das funktioniert schon aus kartellrechtlichen Gründen nicht. Die Anbieter müssten sich absprechen und zeitgleich umstellen. Andernfalls laufen den Versicherern, die nicht nach Berufsgruppen unterteilen, die schlechten Risiken zu. Berufe, die ein geringeres BU-Risiko haben und daher auch einen niedrigen Beitrag zahlen müssen, würden einen Versicherer wählen, der weiter nach Berufen unterscheidet. Das zieht eine Risikoselektion nach sich, die eine stabile Bestandsführung unmöglich macht“, erklärt Franke. Dem schloss sich der Rest der Expertenrunde an. Nach Unisex-Tarifen wird es also keine Unijob-Tarife in der Berufsunfähigkeit geben.
Beratung zu sehr auf BU fixiert
Viel zielführender als Wartezeiten oder die Abschaffung der Berufsunterteilung ist der Ansatz beim Beratungsprozess. Hier würden immer noch zu viele Vermittler vom Produkt der BU her beraten. Sie treten als BU-Profis oder BU-Experten auf und triggern damit unbewusst die Kunden auf ein bestimmtes Produkt. Ist dies dann nicht darstellbar, erscheinen alle anderen Alternativen nur noch als Notlösung. So entsteht ein Negativerlebnis in der Beratung, die Abschlusschancen sinken.
„Die Beratung muss mit dem Ziel aufgebaut werden, die Arbeitskraft abzusichern und nicht ein BU-Produkt vermitteln zu wollen“, meint Christian Häsch. Außer Frage steht, dass die BU die Toplösung ist, um die eigene Arbeitskraft abzusichern. „Vermittler müssen jedoch ihren Produktbaukasten vervollständigen und Akzeptanz für Alternativen schaffen, vor allem bei der Erwerbsunfähigkeitsversicherung“, fordert Franke. Dadurch würden sich automatisch die Möglichkeiten erweitern und mehr Menschen ihre Arbeitskraft absichern.