Immer mehr Pflegebedürftige brauchen Sozialhilfe
Trotz der vor gut einem Jahr eingeführten Pflegereform von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn steigen die Eigenanteile für Pflegeheimbewohner kontinuierlich weiter. 2.411 Euro mussten Pflegebedürftige mit Stand 1. Januar 2023 durchschnittlich pro Monat aus der eigenen Haushaltskasse für eine Unterbringung auf den Tisch legen – ein Betrag, den immer weniger Pflegebedürftige aus dem Ärmel schütteln können. Um sich die Pflege überhaupt noch leisten zu können, müssen immer mehr Bedürftige auf Sozialhilfe zurückgreifen.
Nach aktuellen Berechnungen des Bremer Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Heinz Rothgang im Auftrag der DAK-Gesundheit werde im laufenden Jahr der Anteil der Sozialhilfe beantragenden Pflegeheimbewohner auf 32,5 Prozent ansteigen – trotz einer überdurchschnittlichen Rentensteigerung von mehr als sechs Prozent. Die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen erreiche damit ein neues Rekordniveau. Vor Umsetzung der verschiedenen Reformregelungen seit 1. Januar 2022 – wie der Einführung des Wohngeld-Plus-Gesetzes – hatte die Quote mit 36,8 Prozent ihren höchsten Wert seit Einführung der Pflegeversicherung erreicht. Dieser Wert konnte durch die Einführung der Leistungszuschläge allerdings auf circa 30,5 Prozent reduziert werden.
Die Situation spitzt sich in Zukunft zu
„Die Entlastungen der jüngsten Reformschritte sind bei den Eigenanteilen schon in diesem Jahr verpufft,“ erklärte Rothgang in einer Presseerklärung. Lediglich für die Pflegedürftigen mit mindestens dreijähriger Pflegedauer im Heim habe die Reform eine Entlastung gebracht, die auch bis 2026 anhalte. Laut der Modellrechnung dürfte sich die Situation in Zukunft weiter zuspitzen: Im kommenden Jahr könnte der Anteil der Pflegebedürftigen im Heim mit Sozialhilfe auf 34,2 Prozent steigen, bis 2026 sagt Ökonom Rothgang eine weitere Zunahme auf 36 Prozent voraus.
Die Entlastungen der jüngsten Reformschritte sind bei den Eigenanteilen schon in diesem Jahr verpufft.Heinz Rothgang, Gesundheitsökonom
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa forderte Rothgang: „Ziel muss es sein, dass weniger als 30 Prozent der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sind.“ Daher müsse, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, dringend geprüft werden, wie die steigenden Eigenanteile gesenkt werden können. Um die Finanzierungslücke in der Sozialen Pflegeversicherung zu schließen, sei ein „fairer Finanzierungsmix aus Steuern und Beiträgen“ nötig. Nach Berechnungen der DAK-Gesundheit liegt der Finanzierungsbedarf aktuell bei 14 Milliarden Euro.
Damit Menschen gar nicht erst ins Pflegeheim kommen, hält Rothgang einen weiteren Vorschlag vor: Die Pflege in den eigenen vier Wänden solle stärker gefördert und das Pflegegeld noch in diesem Jahr um mindestens zehn Prozent erhöht werden. Die Notwendigkeit, eine private Zusatzpolice abzuschließen, ist vor dem Hintergrund einer steigenden Zahl von Heimbewohnern mit Sozialhilfe indes dringlicher geworden. Vermittler sollten darauf in der Beratung hinweisen.