„In Brüssel sind Fingerspitzengefühl und das richtige Timing wichtig“
procontra:
Seit zu Beginn des Jahres die Pläne für die EU-Kleinanlegerstrategie (RIS) publik wurden, äußert der BVK Kritik an dem Vorhaben. Was haben Sie als wesentliche Nachteile ausgemacht?
Michael H. Heinz:
Der BVK begrüßt grundsätzlich das Bestreben der EU, Kleinanleger zu fördern. Aber wir haben Bedenken gegen die Formulierung des Artikel 30 Abs. 5 b im Entwurf zur RIS und würden eine Klarstellung dahingehend begrüßen, dass sich der Begriff Unabhängigkeit nicht auf den Status des Maklers, sondern auf die Dienstleistung im Einzelfall als solche bezieht. Damit wäre klargestellt, dass der deutsche Makler weiterhin Courtage beziehen kann. Wir sind auch der Meinung, dass die Änderungen am derzeitigen Rechtsrahmen auf ein Minimum beschränkt sein sollten. Sehr bedenklich sieht der BVK auch, dass die RIS generell das Provisionssystem als Hemmnis identifiziert, die Beteiligung von Kleinanlegern an den Kapitalmärkten zu erhöhen. Es ist unglücklich, dass Provisionen als Anreize definiert werden. Wir haben zusammen mit unserem europäischen Dachverband BIPAR eine ausführliche Stellungnahme verfasst für Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene. Des Weiteren sind wir der Meinung, dass es den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte, über wichtige Definitionen zu entscheiden, die die Existenzgrundlage der Maklerschaft betreffen. Das entspricht der Systematik der IDD. Kritisch betrachtet der BVK außerdem die Ausführungen der RIS zu Benchmarks und im Produktfreigabeprozess, der Product Oversight and Governance – POG. Hier sieht der Verband die Produktanbieter in der Pflicht, für Transparenz zu sorgen, denn es überschreitet die Möglichkeit von Vermittlern, die Kosteneffizienz von Finanzprodukten haftungssicher gegenüber den Kunden zu erklären.
Heinz:
Wir haben uns in diversen Schreiben, unter anderem an Bundesfinanzminister Lindner sowie an die EU-Kommission, hier Frau von der Leyen und Frau McGuinness, sowie an die Arbeitsgruppe des Europäischen Rats sowie an den ECON-Ausschuss des Europäischen Parlaments gewandt und unsere Bedenken sowie Änderungswünsche vorgetragen. Des Weiteren haben wir auch mit diversen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Mitgliedern des ECON-Ausschusses Gespräche in Brüssel geführt – unter anderem mit Herrn Ferber, Herrn Seekatz, Herrn Schwaab – und unsere Stellungnahmen übermittelt. Wir haben an einem Gesprächskreis mit der Berichterstatterin Yon-Courtin im Europäischen Parlament teilgenommen und informelle Gespräche mit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU geführt. Zuletzt haben wir im Oktober einen Formulierungsvorschlag in den Europäischen Rat und den ECON-Ausschuss eingebracht. Die Europäischen Aktivitäten erfolgen zudem in enger Abstimmung mit unserem europäischen Dachverband BIPAR. Auf nationaler Ebene haben wir als Auslegungshilfe für den deutschen Gesetzgeber ein Gutachten von Prof. Christoph Brömmelmeyer von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) erstellen lassen. Zudem bemühen wir uns permanent um weitere Gesprächstermine mit der Politik auf nationaler und internationaler Ebene.
procontra:
Über wen wurde der Formulierungsvorschlag eingereicht und warum haben Sie das erst jetzt getan?
Heinz:
Der BVK hat einen Formulierungsvorschlag Anfang Oktober an die deutschen Entscheidungsträger der Arbeitsgruppe des Europäischen Rats übermittelt. Auch Anfang Oktober veröffentlichte die Berichterstatterin im ECON-Ausschuss, Stéphanie Yon-Courtin, ihren Bericht. Daraufhin haben wir den Ihnen vorliegenden Formulierungsvorschlag Mitte Oktober auch direkt deutschen Mitgliedern des ECON-Ausschusses übermittelt. Die Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen endete am 26. Oktober. Darüber hinaus setzte sich der BVK über sein Brüsseler Büro und den europäischen Dachverband der Vermittler BIPAR vehement dafür ein, dass nicht weitere Regulierungen die Vermittlertätigkeit erschweren. Änderungsanträge machen erst dann Sinn, wenn ein Kommissionsvorschlag im Rat beziehungsweise im Europäischen Parlament erörtert wird.
procontra:
Wie schwierig ist es als deutscher Vermittlerverband, in Brüssel etwas zu erreichen? Bitte nennen Sie auch mal ein griffiges Beispiel für die komplexen Strukturen und das Fingerspitzengefühl, das man dort benötigt.
Heinz:
Wie Sie schon richtig in ihrer Frage implizieren, sind die Strukturen in Brüssel sehr komplex. Diverse Stakeholder mit divergierenden Interessen versuchen den politischen Entscheidungsfindungsprozess zu beeinflussen. Bestes Beispiel ist die RIS selbst, die in wesentlichen Punkten inzwischen nicht mehr den ersten Vorschlägen der Finanzmarktkommissarin entspricht. Fingerspitzengefühl und das richtige Timing sind wichtig, allerdings gibt es sowohl auf internationaler Ebene genau wie auf nationaler Ebene ideologische Positionen, gegen die auch die besten Argumente wenig helfen. Da ist es schwierig, überhaupt Gehör für die eigenen Argumente zu erhalten. Denn das Trilogverfahren ist eine komplexe informelle interinstitutionelle Verhandlung, an der Vertreter des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission teilnehmen. Ziel eines Trilogs ist es, eine vorläufige Einigung über einen Legislativvorschlag zu erzielen, der sowohl für das Parlament als auch für den Rat, die Mitgesetzgeber, annehmbar ist. Diese vorläufige Vereinbarung muss dann von jedem dieser Organe in förmlichen Verfahren angenommen werden. Erst dann kann das förmliche Gesetzgebungsverfahren fortschreiten. Daher ist es notwendig, sich im Vorfeld auch an alle Beteiligten individuell zu wenden. Nicht zuletzt ist die deutsche Ratsposition zu beachten, die aufgrund der Regierungskoalition sehr komplex ist.
procontra:
Welche Big Points in Sachen Sitzungen, Anhörungen und Abstimmungen stehen nun noch an, ehe die RIS tatsächlich in Kraft tritt?
Heinz:
Eine erste Abstimmung des EU-Ministerrats ist für Ende Januar 2024 anberaumt. Der ECON-Ausschuss hat einen etwas weniger ambitionierten Zeitplan und will bis Ende April sein Votum vorlegen. Die Trilogverhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat können jedoch erst beginnen, wenn das Votum aller vorliegt. Daher ist es fraglich, ob die Trilogverhandlungen bis zur Europawahl Anfang Juni überhaupt noch zu einem Abschluss gebracht werden können. Sobald es eine Einigung gibt, hätten die Mitgliedstaaten zwölf Monate Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Weitere sechs Monate später müssten diese Regelungen spätestens angewendet werden. Daher wäre frühestens mit einer Anwendung in Deutschland im Jahr 2026 zur rechnen.
procontra:
Was ist Ihrer Ansicht nach das wahrscheinlichste Szenario, das nach Beschluss der Kleinanlegerstrategie in Sachen Provisionsberatung auf Versicherungsmakler zukommt?
Heinz:
Das ist etwas wie ein Blick in die Glaskugel. Wir hoffen, dass unsere Positionen Gehör finden und Klarstellungen im § 30 Absatz 5 der RIS erfolgen. Wir gehen aber davon aus, dass Beratung auf Provisions- und Courtagebasis weiterhin für die Vermittler zulässig bleiben wird und sich auch partielle Verbote nicht durchsetzen werden. Allerdings werden wir nach Verabschiedung der RIS ‚auf Bewährung‘ sein, das heißt es wird von Seiten der Kommission, aber auch EIOPA und BaFin überprüft werden, ob sich die Branche an die Vorgaben hält.
procontra:
Wann findet Ihr auf der DKM angekündigtes Gespräch mit der EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness und dem EVP-Parteivorsitzenden Manfred Weber statt und was erhoffen Sie sich davon?
Heinz:
Die Terminabstimmungen sind derzeit noch nicht abgeschlossen.