Die Finanzaufsicht schaut den Lebensversicherern weiter auf die Finger, weil die Niedrigzinsphase eine enorme Herausforderung bleibt. „Wir müssen uns ein aufsichtsrechtliches Urteil darüber erlauben, ob Lebensversicherer nach 2032 Solvency ll ohne Hilfen erfüllen können“, sagte Frank Grund, BaFin-Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht auf der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht. Bestünden daran berechtigte Zweifel, könne die Behörde „heute schon theoretisch die Erlaubnis zum Neugeschäft entziehen“.
Derzeit sind rund 20 Lebensversicherer unter intensivierter Aufsicht, berichtete Grund. Die Lebensversicherer nutzten aktuell zunehmend ihren Spielraum, um sich des Niedrigzinsumfelds zu erwehren – vor allem im Neugeschäft auf der Produktseite. Gemeint sind Produkte mit abgesenkten oder gestrichenen Garantien. „Solche Kapital schonenden Produkte verändern den Bestand aber nur schrittweise“, gab Grund zu bedenken.
Höchstrechnungszins runter, aber Riester-Garantie weiter oben
Entspannung bringe den Unternehmen die geplante Absenkung des Höchstrechnungszinses (HRZ). „Der HRZ an sich bleibt im deutschen Aufsichtsrecht erhalten“, erklärte Jörg Kukies, Staatssekretär im BMF, auf der Konferenz. Das Ministerium hatte am 24. März einen Verordnungsentwurf vorgelegt, wonach der HRZ zum 1. Januar 2022 von 0,9 auf 0,25 Prozent gesenkt werden soll. Die Debatte „ist auf gutem Weg, dass dies auch so kommt“, sagte Kukies.
Unvermittelt kam der Staatssekretär, SPD-Mitglied, auch auf die Vergütung in der Lebensversicherung zu sprechen. Hohe nominale Provisionssätze würden mitunter über den Verbraucherschutz gestellt. In der Restschuldversicherung sei die Kappung der Abschlussprovisionen beschlossene Sache. Dabei soll es offenbar aber nicht bleiben. „Weitere Schritte werden folgen“, kündigte Kukies an. Eine Nachfrage von procontra, was damit genau gemeint sei, beantwortete der Beamte nicht. Der große Deckel komme aktuell „wohl nicht“, ergänzte BMF-Abteilungsleiterin Eva Wimmer. Finanzminister Olaf Scholz, ebenfalls SPD, hatte erst kürzlich gegen zu hohe Provisionen gewettert.
BaFin hat Provisionsdeckel weiter im Blick
Das Thema Provisionsdeckel müsse politisch gelöst werden, ergänzte Grund. „Die Aufseher sollen sich beim Provisionsdeckel zurückhalten und werden damit umgehen, wenn er kommt“, so der Versicherungsaufsichtschef wörtlich. Das hielt seinen Abteilungsleiter Gruppenaufsicht und Spezialthemen, Axel Oster, nicht von vertiefenden Aussagen zum Deckel ab.
An die Branche wird appelliert, sich um Kostensenkungen aktiv zu kümmern und bei den Abschlussprovisionen Ehrgeiz zu zeigen. Denn laut Oster sei für die BaFin der Provisionsdeckel noch nicht vom Tisch, auch wenn die Einführung einer Kappung bei kapitalbildenden Altersvorsorgeprodukten politisch nicht auf der Agenda stünde, weil die Union innerhalb der Groko das Thema blockiert. „Die BaFin hätte ihn befürwortet“, so Oster weiter.
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Zusammenhang von Provision und Preis-Leistungs-Verhältnis
Die Vergütung gehöre wegen der Kosten und damit wegen des Preis-Leistungs-Verhältnisses von Lebensversicherungen zur „Wohlverhaltensaufsicht“. Oster nannte dazu als maßgebliche Rechtsgrundlagen das Produktfreigabeverfahren (POG), speziell Artikel 6 Absatz 1 DV 2017/2358, und das IDD-Umsetzungsgesetz.
Dadurch sieht Oster Lebensversicherer und Aufsicht in der Pflicht, auf die Höhe der Provisionen, bei denen er auch die (Rück-) Vergütungen von Fonds nannte, einzuwirken. Letztlich müssten sowohl die Vorgaben zum Zielmarkt erfüllt als auch generell zum Besten des Kunden gehandelt werden.
In der Praxis viel dringlicher als ein Provisionsdeckel wäre eine Entscheidung zur Absenkung der gesetzlich vorgeschriebenen 100-Prozent-Beitragsgarantie in der Riester-Rente und der bAV bei der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML).
bAV vor Absturz durch zu hohe Zinsgarantieverpflichtung?
Was in der privaten Altersvorsorge möglich ist - vor einiger Zeit hat beispielsweise die Allianz das Garantieniveau auf 60, 80 oder 90 Prozent heruntergeschraubt – ist bei Riester und BZML noch verboten. Die flankierende Absenkung des Höchstrechnungszinses im Neugeschäft von 0,9 Prozent auf 0,25 Prozent hat das BMF vorbereitet, die Abkehr von der 100-Prozent-Garantie jedoch nicht.
„Von diesem gesetzlich vorgeschriebenen Beitragserhalt ist abzurücken“, warnte kürzlich eindringlich Guido Bader, Vorstandschef der Deutschen Aktuarvereinigung. „Der vollständige Beitragserhalt mündet sonst in einen Realwertverlust und würde damit das Aus von BZML und Riester-Rente bedeuten“, so Bader. Auf der BaFin-Konferenz wich BMF-Staatssekretär Kukies dem Thema aus, seine Abteilungsleiterin Wimmer sieht da „keine Regelungsmaterie“. BaFin-Abteilungsleiter Kay-Uwe Schaumlöffel hält „mehr Flexibilität bei der Beitragsgarantie für sinnvoll“.
BMF sieht keinen Regelungsbedarf, aber Experten schon
„Die Politik muss mehr Flexibilität und niedrigere Garantien erlauben“, hatte kürzlich André Geilenkothen, Partner des Beraters Aon, gefordert. Man könnte statt der bisherigen jährlichen Garantien stärker auf Garantien zur Endfälligkeit bzw. auf reduzierte Garantien abstellen, schlägt Geilenkothen vor. „Andernfalls würden die Einrichtungen der bAV auf breiter Front bestenfalls zu Festgeldverwaltern, die für die Versicherten keine nennenswerte Rendite mehr erwirtschaften können.
Hintergrund: Durch weniger Garantien erhöhen sich die Chancen in der Kapitalanlage und damit verbessert sich die Aussicht auf auskömmliche Vorsorge auch in Niedrigzinsphasen. Die reine Beitragszusage wäre in dieser Situation ein guter Ausweg, doch deren Durchbruch im Sozialpartnermodell geht über Anfänge noch nicht hinaus.
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