Lebensversicherung: Weniger Garantiezins als Höchstrechnungszins?
Lange haben die Lebensversicherer das Kernelement klassischer Produkte, den Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit, erhalten können und dabei zu jeder Zeit eine volle Beitragsgarantie geboten. Den Trend zu reduzierten Garantien, etwa auf den Erhalt der eingezahlten Beiträge nur noch bei Ablauf des Vertrages, gibt es schon länger (procontra berichtete).
Zusätzlicher Druck auf die Garantien entstünde, wenn zum 1. Januar 2021 der Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung von aktuell 0,9 auf 0,5 Prozent abgesenkt wird. Das schlägt jedenfalls die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) vor (procontra berichtete). Im Neugeschäft kommt schon jetzt bei einer 100-Prozent-Beitragsgarantie am Ende nie die Summe eingezahlter Beiträge für den Kunden heraus (procontra berichtete).
In einer Videokonferenz präzisierte die DAV ihre Begründung, warum der Höchstrechnungszins auf 0,5 Prozent abgesenkt werden sollte (procontra berichtete). Die Aktuare machten auch auf den Unterschied zwischen Höchstrechnungszins und Garantiezins aufmerksam. Der Höchstrechnungszins sei das Maximum, das Unternehmen zur Berechnung ihrer Deckungsrückstellungen in der Handelsbilanz annehmen dürfen. Dessen Höhe sei gesetzlich geregelt und gelte damit unternehmensübergreifend. Der Garantiezins dagegen betreffe die Kalkulation von Beiträgen und Leistungen oder spezifische Verhältnisse in einzelnen Unternehmen. Den Garantiezins festzulegen sei einzig die Aufgabe des verantwortlichen Aktuars im jeweiligen Unternehmen.
Am höchsten ist der Rechnungszins
In Zeiten hoher Zinsen waren der Höchstrechnungszins für die Berechnung der Deckungsrückstellung und der Garantiezins für das Neugeschäft im Regelfall gleich. „Bei Niedrig- oder gar Negativzinsen geht diese Praxis nicht mehr auf“, sagt DAV-Vorstandschef Dr. Guido Bader. Garantien unterhalb des Höchstrechnungszinses seien bereits bei der „Neuen“ Klassik und bei Hybridprodukten der Fall. Zum Höchstrechnungzins hat Bader, im Hauptberuf Vorstand der Stuttgarter Lebensversicherung mit Zuständigkeit für die Kapitalanlage, einen kurzen Film auf die DAV-Homepage gestellt.
Dem Vernehmen nach ist auch noch eine stärkere Absenkung ab 20021 im Gespräch. Auch dazu äußerten sich nun die Aktuare. Hintergrund: Die Aufsichtsbehörde hat unlängst im BaFin-Journal „erhebliche Zweifel“ angemeldet, „ob die einzelnen Anbieter auf Dauer mit hinreichender Sicherheit in der Lage sein werden, in ihrer Neu- und Wiederanlage Renditen oberhalb des aktuellen Höchstrechnungszinses zu erzielen.“ Der Höchstrechnungszins könne laut BaFin nicht unreflektiert als Garantiezins ins Neugeschäft übernommen werden. Die Behörde hat angekündigt, einzelne Lebensversicherer und Pensionskassen auf die Risikotragfähigkeit zu überprüfen.
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Absenkung bei vielen Pensionskassen auf 0,25 Prozent
Die DAV sieht es „kritisch, dass der BaFin-Artikel zu einem Zeitpunkt erscheint, zu dem noch keine Klarheit über die Höhe des künftigen Höchstrechnungszinses geschaffen wurde“, sagt Dr. Herbert Schneidemann, stellvertretender Vorstandschef. Ob die BaFin auch den Wert von 0,5 Prozent unterstützt oder einen anderen Wert präferiert, wisse die DAV nicht. Speziell für regulierte Pensionskassen wolle die BaFin unbefristet allenfalls noch 0,25 Prozent Rechnungszins genehmigen.
„Sowohl die Garantiemodelle als auch das Garantieniveau müssten an die veränderten Kapitalmarktwirklichkeiten angepasst werden“, stimmte Schneidemann, im Hauptberuf Vorstandschef der Bayerischen Beamten Lebensversicherung sowie der BBV Holding, der BaFin zu. Er appellierte an das BMF, spätestens bis Ende Mai eine Entscheidung zum Höchstrechnungszins zu treffen, da eine geordnete Umsetzung zum Jahreswechsel sonst nicht mehr möglich sei.
„Viele Pensionskassen brauchen mehr Risikotragfähigkeit, um die anhaltende Niedrigzinssituation und die beständige Verlängerung der Lebenserwartung bewältigen zu können“, bestätigt auch Dr. Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS), einem Zweigverein der DAV. Grund: Das Geschäftsmodell der Pensionskassen sei immer darauf ausgerichtet gewesen, aus den Beiträgen des Kollektivs möglichst effizient hohe Leistungen mit der erforderlichen Sicherheit für das Kollektiv zu finanzieren. Gewinne seien eher zugunsten von Leistungserhöhungen verwendet worden als zum Aufbau freier Eigenmittel.
IVS sieht für Pensionskassen zwei Optionen
Nun sieht Lucius zwei Optionen: Entweder die Kassen senken ihre Annahmen darüber, was sie künftig am Kapitalmarkt erwirtschaften können. Dann müssen sie zwangsläufig massiv die Reserven für die vorhandenen Garantiezusagen stärken. Oder sie gehen höhere Anlagerisiken ein, um die ursprünglich kalkulierten Erträge dauerhaft erwirtschaften zu können. Dazu benötigen die Kassen freie, unbelastete Eigenmittel. „Wenn diese nicht vorhanden sind, müssen sie von außen bereitgestellt werden - beide Varianten kosten Geld“, so Lucius.
Die zusätzlichen Mittel müssten letztlich von den Trägerunternehmen, also den Arbeitgebern, aufgebracht werden. Dies sei bereits bei vielen Kassen geschehen. Die Träger seien nicht gut beraten, es auf eine Sanierung durch Leistungskürzungen ankommen zu lassen (procontra berichtete). „Dieser letzte Ausweg geht in der Regel mit einem vollständigen Verbrauch der Eigenmittel und damit einem weitgehenden Verlust der Risikotragfähigkeit der Kasse einher. Im schlimmsten Fall folgen ein Neugeschäftsverbot und die Abwicklung der Einrichtung - die teuerste Lösung für Arbeitgeber“, stellt Lucius klar.
Angesichts stärker sinkenden Höchstrechnungszinses bei Firmenpensionskassen dürfte sich deren Wettbewerbssituation gegenüber den Lebensversicherer-Kassen weiter verschärfen, wenn die Anlageverordnung nicht gelockert wird (procontra berichtete). DAV-Chef Bader sieht aber keinen Grund für eine Lockerung. Noch würden die Möglichkeiten der Anlageverordnung nicht ausgeschöpft, 35 Prozent Aktienquote habe kaum eine Kasse vorzuweisen. Es komme auf die richtige Mischung aus Risikotragfähigkeit der Kasse, Nutzung der Anlageverordnung und Einstandsfähigkeit der Arbeitgeber an.
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