Mannheimer Versicherung: Wirbel um gekündigte BSV-Verträge

Die Mannheimer sorgt im Betriebsschließungs-Dilemma für einen Knall und kündigt die Verträge aller Kunden, die den bayerischen Kompromiss abgelehnt haben. Juristen sind entsetzt. Warum er das Vorgehen für rechtens hält, erklärte der Versicherer gegenüber procontra.

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13:06 Uhr | 17. Juni | 2020
Das Verhalten der Mannheimer Versicherung ist widersprüchlich und kundenschädigend, sagt Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte.

Das Verhalten der Mannheimer Versicherung ist widersprüchlich und kundenschädigend, sagt Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Bild: Wirth Rechtsanwälte

Versicherungsmakler berichteten kürzlich von Anschreiben der Mannheimer Versicherung in Verbindung mit dem Angebot des bayerischen Kompromisses, die man glatt als Erpressung verstehen könnte. „Meldet der Kunde einen Schaden und akzeptiert in der Folge unsere Vereinbarung nicht, sind wir … gezwungen, den Schaden abzulehnen und die Betriebsschließungsversicherung (BSV) schadenbedingt zu kündigen. Der Kunde muss hierauf im Vorfeld unbedingt hingewiesen werden.“ Soweit der O-Ton, über den zuerst der Branchendienst „versicherungstip“ berichtet hatte.  

Sensible Makler könnten sich bei dieser Diktion als Erfüllungsgehilfen des Versicherers gegängelt fühlen. Noch merkwürdiger ist die Kündigungsdrohung, wenn sich der Kunde nicht auf das von der Mannheimer offerierte Kulanzangebot nach dem Bayerischen Kompromiss einlässt. Der Kompromiss besagt: Versicherer, die eine vollständige Schadenregulierung ablehnen, weil angeblich eine Allgemeinverfügung nach Infektionsschutzgesetz nicht ausreicht oder Covid-19 nicht zu den versicherten Erregern zählt, bezahlen als Kulanz die Ausfälle, die nach Abzug staatlicher Maßnahmen im Schnitt 15 Prozent ausmachen (procontra berichtete).  

Die AVB deuten auf Leistungspflicht  

Zur Erinnerung: Bei der Mannheimer Versicherung sind die Bedingungen unklar formuliert (procontra berichtete). Gezahlt werden soll, wenn „die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger beim Menschen beim Auftreten meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“, heißt es im typischen Juristendeutsch in den VSG 2018 für die verbundene Sach-Gewerbeversicherung.  

Nach dieser Logik müsste die Mannheimer eigentlich zahlen, zumal auch die Liste der aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger nirgends als „abschließend“ bezeichnet wird. Tut sie bislang nicht. In diesem wie in anderen Fällen werden Gerichte noch viel zu tun haben, die AVB rechtlich abschließend zu bewerten. Ehe die Verfahren den BGH erreichen, könnten zwei oder drei Jahre vergehen. Daher dürfte das 15-Prozent-Angebot für manche BSV-versicherte Firma, die jetzt ums Überleben kämpft, interessant sein.  

15-Prozent-Abfindungsangebot genau prüfen      

„Es bleibt aber bei unserer dringenden Empfehlung, Ablehnungen und Abfindungsangebote nicht ungeprüft hinzunehmen“, sagt Tobias Strübing, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Die Kanzlei hat nach eigenem Bekunden bereits viele Mandanten, für die - auch mit der Mannheimer - „klärende Gespräche für rasche einvernehmliche Klärungen geführt werden, um zu akzeptablen Angeboten zu kommen“.  

Vielfach könnte – laut AVB - ein uneingeschränkter Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme aus der BSV wegen der Untersagung der Öffnung von Gaststätten und Hotels bestehen. Zu diesem Schluss war schon das Landgericht Mannheim in einem einstweiligen Verfügungsverfahren mit Beteiligung der Mannheimer gekommen (Az.: 11 O 66/20 – nicht rechtskräftig). Eine individuelle Schließungsverfügung für die einzelnen Hotels sei nicht erforderlich (procontra berichtete). Weitere Klagen sind anhängig (procontra berichtete).  

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Auch Fachanwalt Strübing hat registriert, dass die Mannheimer nun Kunden, die dem 15-Prozent-Angebot nicht zugestimmt haben, die Police kündigt. Die Kündigung umfasst den gesamten Versicherungsvertrag, der in vielen Fällen auch andere „Bausteine“ enthält, berichtet Strübing. Einen genauen Kündigungsgrund nennt die Mannheimer nicht, sondern nimmt nur die „Schadenmeldung (…) zum Anlass“, um die außerordentliche Kündigung auszusprechen.  

Damit kündigt der Versicherer die Police nach Paragraf 92 Absatz 1 VVG. Diese Vorschrift lässt eine außerordentliche Kündigung nur bei Eintritt des Versicherungsfalls zu. Dabei hatte die Mannheimer laut Strübing ursprünglich das 15-Prozent-Kulanz-Angebot noch mit dem Worten angeboten, dass eine „Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag nicht gegeben“ sei. Nun geht sie für die außerordentliche Kündigung gerade von einem „eingetretenen Versicherungsfall“ aus.  

„Das ist widersprüchliches und kundenschädigendes Verhalten, und die Mannheimer muss sich vorhalten lassen, hier klar gegen das Gesetz zu verstoßen“, meint der Fachanwalt. Nach Paragraf 1a Absatz 1 VVG seien Versicherer verpflichtet, gegenüber ihren Kunden stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichen Interesse zu handeln. „Das ist hier nicht zu erkennen“, kritisiert Strübing. Er empfiehlt Vermittlern in diesen Fällen, sich kurzfristig um neuen Versicherungsschutz für Ihre Kunden zu kümmern, weil sonst Deckungslücken und damit auch Haftungsrisiken drohen.  

Kommentar der Mannheimer  

Wie von Maklern zu hören ist, vollzieht die Mannheimer bereits die ersten außerordentlichen Kündigungen. Die Redaktion hat die Mannheimer Versicherung dazu um Stellungnahme gebeten. Wir wollten unter anderem wissen:

„Die Mannheimer Versicherung vertritt beim Eintritt des Versicherungsfalls die Rechtsauffassung, dass dafür keine Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag notwendig sein muss, sondern die Anmeldung eines Versicherungsfalles ausreicht“, sagte ein Sprecher der Mannheimer auf Nachfrage von procontra. Als Rechtsgrundlage nannte der Versicherer einschlägige juristische Kommentare: den Münchener Kommentar zum VVG (Paragraf 97 Randziffer 7), den Berliner Kommentar zum VVG (Paragraf 96 Randziffer 4) sowie der Großkommentar Bruck/Möller (Anmerkung E 15).

Makler sollten auf Anschlussdeckung achten

Daher seien die Kündigungen gerechtfertigt. Es werden jetzt oder wurden bereits alle BSV-Verträge von Kunden im Rahmen des Sonderkündigungsrechts im Schadenfall aufgehoben, die den bayerischen Kompromiss nicht angenommen haben, aber einen Schaden gemeldet hatten.

Teilweise handelt es sich bei den BSV-Deckungen nicht um alleinstehende Verträge, sondern um Bausteine innerhalb gewerblicher Kombiprodukte, die beispielsweise auch die Geschäftsinhalts- oder die Betriebshaftpflichtversicherung enthalten. „Hier wird zwingend der Gesamtvertrag gekündigt“, so der Sprecher. Die Mannheimer wolle ihre Kunden aber nicht im Regen stehen lassen. Kunden könnten den verlorenen Schutz erneut abschließen. Auch BSV soll möglich sein, „dann aber von Anfang an mit 100-prozentigem Corona-Ausschluss“.  

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