Provisionsdeckel: Erledigen falsche Zahlen den Entwurf?

Der Entwurf zum LV-Provisionsdeckelgesetz liegt immer noch nicht im Kabinett vor, obwohl dies schon für Juni geplant war. Nun tauchen Fakten auf, die an der Berechnung der „überhöhten“ Provisionen zweifeln lassen und das ganze Projekt kippen könnten.

Author_image
06:09 Uhr | 09. September | 2019
Alt text

Das Bundeskabinett unter Leitung der Kanzlerin (Blick aufs Kanzleramt) hat sich noch immer nicht mit dem LV-Provisionsdeckel befasst. Sind Ungereimtheiten schuld? Bild: Pixabay

Das Bundeskabinett hat das LV-Provisionsdeckelgesetz nach der Sommerpause noch nicht auf die Tagesordnung genommen. Bereits seit Ostern liegt ein Referentenentwurf vor, zu dem auch Bundeswirtschafts- und Bundesjustizministerium ihren Segen gegeben hatten (procontra berichtete). Die Vermittlerverbände haben diesen Entwurf heftig kritisiert (procontra berichtete).

Eine Reaktion von Regierungsseite gibt es bis heute nicht. Die Pläne zur Einführung befinden sich noch in der Ressortabstimmung, hieß es vom BMF im Juni (procontra berichtete). Zwar wollte das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf schon am 6. Juni als ersten Tagesordnungspunkt beschließen, doch dann wurde der Punkt ohne Begründung abgesetzt und mehrfach verschoben. Offenbar zeigen die Proteste aber Wirkung (procontra berichtete).

Der letzte Stand des BMF-Referentenentwurfs ist datiert vom 14. Juni und liegt der Redaktion vor. Darin ist geplant, das Gesetz erst am 1. Januar 2021 in Kraft zu setzen. Zudem schreibt der Entwurf verklausuliert vor, dass Ansprüche auf Abschlussprovisionen, die höher als vier Prozent betragen und aus Altverträgen resultieren, ab 1. Januar 2022 nicht mehr gelten sollen. Allerdings hält das BMF es weiter für „erforderlich, die Abschlussprovisionen und Vergütungen für Vermittler in angemessener Weise zu deckeln, auch um gegebenenfalls bestehenden Fehlanreizen sowie exzessiven hohen Abschlussprovisionen und Vergütungen entgegenzuwirken“, wie es in der Präambel heißt.

Provisionen niedriger als im BMF-Bericht angegeben?

Doch an der Richtigkeit dieser Zahlen sind jetzt erhebliche Zweifel angemeldet worden. Zur Erstellung des Evaluierungsberichtes zum LVRG hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im vierten Quartal 2017 bei Lebensversicherern deren Provisionszahlungen vor und nach dem LVRG 2013 abgefragt. „Die Vorgaben sind aber untauglich, um ein zutreffendes Bild über die Vergütungen der beim LV-Produkte mit Sparanteil zu liefern“, kritisiert jetzt der Brancheninformationsdienst ‚versicherungstip‘. Selbst das Bundesfinanzministerium (BMF) interpretiere eine Tabelle zu vermeintlichen Maximalprovisionen falsch.

Hintergrund: Die Lebensversicherer mussten seinerzeit Zahlungen an Vermittler zur Vergütung des Vermittlungserfolges und die zugrunde liegende Bruttobeitragssumme melden. Die Daten gingen in den LVRG-Evaluierungsbericht ein und wurden maßgeblich zur Begründung eines Provisionsdeckels bei LV-Produkten im BMF-Referentenentwurf herangezogen. Vermittler sollen nach BMF-Plänen maximal 2,5 Prozent Vergütung erhalten und in Abhängigkeit noch festzuzurrender Parameter weitere 1,5 Prozent, also maximal 4,0 Prozent.

Seite 1: Provisionen niedriger als im BMF-Bericht angegeben?Seite 2: Erneute Zahlenabfrage der BaFin

Fehler bei der Datenerhebung?

Doch offenbar hat die BaFin bei der Datenerhebung nicht sichergestellt, dass nur die Vergütungen und Beitragssummen der Produkte gemeldet wurden, die bei der Einführung des LVRG im Fokus standen, also LV-Produkte mit Sparanteil. In der Datenerhebung mussten die Versicherer angeben, welche Abschlussprovisionen gemessen an den Bruttobeitragssummen aller Produkte an Versicherungsvermittler aus dem Neugeschäft 2017 gezahlt oder in Aussicht gestellt wurden, bestätigte die Aufsicht jetzt auf Anfrage, darunter auch die Provisionen für Restschuldversicherungen.

Doch bei der unter massiver Kritik stehenden Restschuldversicherung liegen die Provisionen laut einer BaFin-Marktuntersuchung meistens bei 50 Prozent der Prämie und darüber. „Das aber beeinflusst die im Evaluierungsbericht veröffentlichen Vergütungsdaten, die zur Begründung eines LV-Provisionsdeckels herangezogen wurden“, kritisiert Erwin Hausen, Chefredakteur des „versicherungstip“. Dies habe die BaFin angeblich berücksichtigt, gebe aber nicht preis, ob und gegebenenfalls was rausgerechnet wurde, ergänzt Hausen, der zugleich auch die Arbeit der der die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) koordiniert, der zehn Maklerversicherer angehören.

Branchenexperten bezweifeln, dass es der BaFin möglich war, die Daten zur Restschuldversicherung sauber herauszurechnen. „Aufgrund der komplexen Ermittlung der Zahlen bei der LVRG-Erhebung ist der BaFin ein Rausrechnen der Restschuldversicherungs-Anteile nicht möglich. Künftige Zahlungen für Vermittler mussten hochgerechnet werden, dabei Storno- und Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden, von den Zahlungen mussten Rückbelastungen abgezogen werden, das Endergebnis wurde über alle Vermittler je Vertriebsweg summiert und dies musste auf einen Barwert abgezinst werden“, so BFV-Koordinator Hausen.

Erneute Zahlenabfrage der BaFin

Dies dürfte der Grund sein, dass die BaFin im Juli 2019 eine erneute Abfrage unter Lebensversicherern zu den Zahlungen an Versicherungsvermittler zum Neugeschäft 2018 gestartet hat, bei der nun die Daten zur Restschuldversicherung getrennt erhoben werden. Das Ergebnis dürfte von den bisher bekannten daten zugunsten der Vermittler abweichen, also niedrigere Provisionshöhen zutage fördern als bisher bekannt. Bislang wurde angenommen, dass das Provisionsmaximum für Ausschließlichkeitsvertreter 9,03 Prozent, Mehrfachvermittler 10,76 Prozent und Versicherungsmakler 7,02 Prozent beträgt.

„Man sieht hier, wie stümperhaft der Finanzminister vorgeht. Hier werden auf einer falschen Datengrundlage die Existenzen vieler Vermittler gefährdet“, kritisiert der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler im „versicherungstip“. Nicht nur er verlangt neben der internen Aufarbeitung der Fakten auch eine Aufklärung der Öffentlichkeit und der Bundestagsparteien.

Falsche Provisionsdaten wären ein Skandal

„Wenn das BMF die Daten wissentlich falsch interpretiert hat, um die Notwendigkeit eines LV-Provisionsdeckels vorzugaukeln, wäre das ein politischer Skandal“, so Hausen. Die Diskussion um Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und Zulässigkeit eines LV-Provisionsdeckels bekommt nun neue Nahrung.

Zwei Gutachten von namhaften Juristen hatten einen Provisionsdeckel im Bereich der Lebensversicherung bereits verfassungsrechtlich und europarechtlich für unzulässig gehalten (procontra berichtete). Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren könnte bereits zu Ende sein, ehe es begonnen hat. „Der immer noch nicht vorliegende Gesetzentwurf müsste noch in den Bundestag eingebracht und dürfte zu einem heißen Herbst führen“, prophezeit Rechtsanwalt Norman Wirth.

Seite 1: Provisionen niedriger als im BMF-Bericht angegeben?Seite 2: Erneute Zahlenabfrage der BaFin