Wenn der Kfz-Versicherer im Schadenfall falsch quotelt
Ich bin jemandem aufgefahren oder mir hat jemand die Vorfahrt genommen: Für die meisten Autofahrer ist nach einem Unfall gefühlt schnell klar, wer an diesem die alleinige Schuld trägt. Entsprechend staunen sicher viele nicht schlecht, wenn der Kfz-Versicherer des Unfallgegners einem selbst dann nur einen Bruchteil des entstandenen Schadens ersetzen will, obwohl man sich in der Opferrolle sieht. Doch die Quotelung, also die Kürzung der Leistung im Schadenfall um einen vom jeweiligen Individualverschulden abhängigen Prozentsatz, ist schon seit Langem Praxis in der Versicherungswirtschaft.
Ein Autofahrer aus NRW fand sich in einer solchen Situation wieder. Seine Grundstücksausfahrt mündet in eine Einbahnstraße. Als er rückwärts aus dieser ausparkte, stieß er mit einem anderen Auto zusammen, das gerade entgegen der Fahrtrichtung rückwärtsfuhr. Die Fahrerin dieses Autos hatte durch ihr Rückwärtsfahren einem anderen Auto Platz machen wollen, das gerade ausparken wollte. Anschließend wollte sie selbst in die Lücke einparken. Jedoch wollte der Kfz-Versicherer der Frau den am Wagen des Mannes entstandenen Schaden nur zu 40 Prozent ersetzen, weil er bei ihm ein Mitverschulden erkannt haben wollte. Weil der Mann aber den vollen Schaden ersetzt haben wollte, ging er vor Gericht.
Vor dem Düsseldorfer Amtsgericht bekam er damit auch Recht (Az.: 18 C 79/19; Urteil vom 23.08.2021). Doch der Kfz-Versicherer ging in Berufung und erhielt wiederum Recht vor dem Düsseldorfer Landgericht (Az.: 22 S 390/21; Urteil vom 02.09.2022). Ein 60-prozentiger Abzug war laut den dortigen Richtern gerechtfertigt, weil der Mann der Frau die Vorfahrt genommen und sich beim Ausfahren aus einem Grundstück die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen habe.
BGH sieht falsche Quotelung
Doch der Mann steckte nicht auf und ging in Revision vor den Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 287/22; Urteil vom 10.10.2023. Dieser erkannte seinen Anspruch auf eine zumindest höhere, wenn nicht gar vollständige Schadenzahlung an. Denn laut dem BGH spricht kein Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 10 Satz 1 StVO oder § 9 Abs. 5 StVO, welche Vorfahrt und Grundstücksausfahrt regeln. Vielmehr habe sich die Frau grob fahrlässig verhalten, da sie in unzulässiger Weise in einer Einbahnstraße rückwärtsfuhr. Dazu zählt, laut den Richtern, auch das Rückwärtsfahren, um zu einer freien oder freiwerdenden Parklücke zu gelangen oder einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können. Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass unter diesen Umständen den rückwärts aus der Grundstückszufahrt auf die Einbahnstraße einfahrenden Kläger ein Verschulden treffe, heißt es begründend aus Karlsruhe.
Das Verfahren wurde zur Prüfung des Vorliegens eines Verschuldens des Klägers an das Landgericht zurückverwiesen. Dessen neue Entscheidung liegt noch nicht vor.