Versicherer verheddert sich in seinen eigenen Bedingungen
Eine Frau hatte für sich und eine Freundin eine fünftägige Reise nach Ibiza gebucht und dafür auch eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen. Als „Service-Plus“ bot der Versicherer in seinen Bedingungen dazu seine „Medizinische Stornoberatung“. Diese telefonische Beratung, so heißt es darin, würde die Kunden bei der Entscheidung unterstützen, „ob und wann sie ihre Reise stornieren sollten“. Sofern dann die Empfehlung zur Stornierung der Reise ausgesprochen werde, seien die Kunden auch dazu verpflichtet, dies unverzüglich zu tun.
So entwickelte es sich dann auch im Fall der beiden Frauen. Die Dame, die die Reise gebucht hatte, leidet seit 2017 an der Krankheit Morbus Basedow. Bei ihr wurde kurz vor Reisebeginn ein Knoten im Bereich der Schilddrüse festgestellt und als frühester Termin für die weitere medizinische Abklärung der Tag vor der geplanten Abreise angeboten. Im Rahmen der „Medizinischen Stornoberatung“ ihrer Police riet ihnen eine dort beschäftigte Ärztin telefonisch zur Stornierung der Reise, was beide umgehend taten. Trotzdem verweigerte der Versicherer die Leistung, weshalb der Fall vor Gericht landete.
Vor dem Amtsgericht München (Az.: 122 C 7243/22) argumentierte der Versicherer, dass die von ihr angebotene „Medizinische Stornoberatung“ nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung beraten würde. Über die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein versichertes Ereignis vorläge, würde jedoch erst im Rahmen der Schadenbearbeitung befunden und entschieden.
„Eklatanter Widerspruch zu den eigenen AVB“
Das Gericht sah jedoch die klagende Versicherungsnehmerin im Recht. Ob zum Beispiel eine unerwartete schwere Erkrankung im Sinne der AVB bei der Klägerin zum Stornierungszeitpunkt als Leistungsauslöser vorlag, könne in diesem Fall völlig offenbleiben. Denn hier sei für die Frau durch die „Medizinische Stornoberatung“ von Seiten des Versicherers ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, dass die Stornierung der Reise den vertraglichen Voraussetzungen der Reiserücktrittsversicherung entspricht. Durch die Formulierung „ob und wann“ werde klar, dass die Beratung nicht nur eine Empfehlung für den Zeitpunkt der Stornierung ausspreche, sondern auch dazu, ob überhaupt ein versicherter Stornierungsgrund gegeben sei. Dies werde auch dadurch gestützt, dass es sich explizit um eine medizinische und nicht um eine allgemeine Stornoberatung handle und Rücksprache mit Ärzten gehalten werden könne.
Aus Sicht des Gerichts sei es höchst fraglich, warum der Reiserücktrittsversicherer seine „Medizinische Stornoberatung“ überhaupt als Entscheidungsgrundlage empfehle, wenn er selbst meine, sich an die Empfehlungen seiner eigenen Beratung nicht halten zu müssen. Die Argumentation des Versicherers stehe somit „in eklatantem Widerspruch zu Ziff. 2 und 14 seiner eigenen AVB“, so das Gericht. Der Versicherer habe sich der Ärztin der „Medizinischen Stornoberatung“ als Erfüllungsgehilfin bedient und müsse sich deren Entscheidung deshalb auch zurechnen lassen.