Altersvorsorge: „Ein Obligatorium ist nichts wirklich Schlimmes“

Deutschland wartet weiter auf das erste Sozialpartnermodell. Wann es endlich soweit ist, wo es in der betrieblichen Altersversorgung sonst noch hakt und warum von Seiten der Politik mehr Klarheit benötigt wird, erzählt Lars Golatka, Leiter des Geschäftsbereichs betriebliche Altersversorgung bei der Zurich, im procontra-Gespräch.

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09:02 Uhr | 16. Februar | 2021
Lars Golatka Bild: Zurich

Plädiert für mehr Klarheit seitens der Politik: Lars Golatka, Leiter des Geschäftsbereichs bAV bei der Zurich und Vorstandsvorsitzender der Deutscher Pensionsfonds AG. Bild: Zurich

Deutschlaprocontra: Herr Golatka, seit Jahren wird über das Sozialpartnermodell geredet. Wann kommt es denn nun?

Lars Golatka: Im Grundsatz besteht schon seit einiger Zeit Einigkeit. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir wollen hier nicht nur eine zusätzliche bAV-Möglichkeit für die bereits gut versorgten Talanx-Mitarbeiter schaffen – für diese ist es praktisch nur ein zusätzliches Bonbon. Uns geht es darum, eine Blaupause zu kreieren, die Verdi auch auf andere Branchen anwenden kann. Ein Haustarifvertrag ist sicherlich schön, macht die Welt des Sozialpartnermodells aber sicherlich noch nicht glücklich.  

procontra: Ganz konkret – ist mit dem besagten Haustarifvertrag in diesem Jahr zu rechnen?  

Golatka: Der Plan sieht vor, dass es in den nächsten Monaten in den Vorstandssitzungen der Sozialpartner entschieden wird. Ich glaube fest daran, dass wir in diesem Jahr an den Start gehen können. Unsere Planungen sind extrem weit und Deal-Breaker gibt es aus meiner Sicht nicht mehr. Ein konkretes Datum zu nennen, halte ich für nicht zielführend: Damit setzt man die Verhandlungsparteien nur unter Druck und verzögert die Angelegenheit eher, als sie zu beschleunigen.  

procontra: Inwieweit hat denn die Corona-Pandemie die Verhandlungen beeinflusst?  

Golatka: Corona hat sicherlich zu Verzögerungen geführt, uns gleichzeitig aber auch ermöglicht, einen Echttest durchzuführen und somit die Sicherheit unseres Systems zu veranschaulichen. Trotz der zeitweiligen Verwerfungen an den Kapitalmärkten im Frühjahr mussten wir unsere Zielrenten zu keinem Zeitpunkt anpassen. Im Zusammenspiel mit der Frage „Sicherheit ohne Garantien“ war das lange Zeit das Thema, das die Sozialpartner am meisten beschäftigt hat. Durch den Test konnten wir nun veranschaulichen, dass das kollektive Sparen Sicherheit schafft. Mittlerweile gibt es zu den Themen Sicherheit und Garantien keine größere Diskussionen mehr.  

procontra: Welche Knackpunkte gab es darüber hinaus?  

Golatka: Viele Fragezeichen gab es beim Thema Mitwirkung der Sozialpartner. Da die Bundesregierung versäumt hat für Klarheit zu sorgen, mussten wir erst einmal klären, welche Verantwortung und Aufgaben den einzelnen Parteien zufällt – das war echte Basisarbeit, an die wir uns mühsam herantesten mussten. Mittlerweile sind wir an der Stelle, diese grundlegende Basisarbeit in einen konkreten Tarifvertrag zu übersetzen. Hier geht es nun um Fragen, wie die Kapitalanlage gestaltet ist, inwiefern Nachhaltigkeitskriterien, die den Gewerkschaften sehr wichtig sind, berücksichtigt werden und was mit dem Sicherungsbeitrag passiert.

procontra: Wenn dieser Prozess jedes Mal so arbeitsintensiv ausfällt, dürfte er nur wenige für das Sozialpartnermodell begeistern.  

Golatka: Wir hatten auch Gespräche mit anderen Verbänden die ebenfalls als Gewerkschaft beiVerdi angesiedelt sind, beispielsweise aus dem sozialen Bereich, die uns gegenüber großes Interesse an einem Sozialpartnermodell signalisiert haben. Nur: Sie selbst haben mit Kurzarbeit etc. derzeit so viel um die Ohren, dass ein wie von mir beschriebener Prozess für sie nicht darstellbar ist.   Darum wollen wir hier ganz bestimmte Rahmenbedingungen festziehen, die von Interessierten übernommen werden können. Beispielsweise stehen dann von zwölf zu verhandelnden Themen bereits zehn fest und es müssen mit den konkreten Partnern nur noch zwei branchenspezifische Punkte diskutiert werden, beispielsweise wie hoch der Arbeitgeberbeitrag ausfallen soll. Nur wenn wir diese Übertragbarkeit herstellen, haben wir die Chance, dass das Sozialpartnermodell zu einer Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge maßgeblich beiträgt.

procontra: Rechnen Sie damit, dass das erste erfolgreich beschlossene Modell den Knoten durchschlägt und schnell weitere folgen lässt?  

Golatka: Bis zum Abschluss kann es aufgrund bestehender Tarifvertragslaufzeiten natürlich immer noch ein wenig dauern, aber ich gehe fest davon aus, dass wir nach dem ersten erfolgreichen Sozialpartnermodell schnell in weitere Verhandlungen kommen werden. Wir brauchen einfach einen Eisbrecher, da es sich hier ja schließlich um ein vollkommen neues Thema handelt, an das sich viele bislang nicht herangewagt haben.

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procontra: Arbeitsminister Hubertus Heil bemerkte 2019, dass die bAV das Mittel der Wahl sei, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Mehrfach hat die Bundesregierung auch in den vergangenen Jahren mit Reformen versucht, die betriebliche Altersversorgung attraktiver zu gestalten. Dennoch entwickelt sich deren Verbreitungsgrad nur bescheiden in die gewünschte Richtung. Woran hakt es?  

Golatka: Zunächst einmal glaube ich schon, dass die Verbesserungen der jüngeren Vergangenheit einiges gebracht und die bAV aufgewertet haben. Zu beobachten ist aber auch, dass die Parteien nicht müde werden, den nächsten großen Wurf bei der Altersvorsorge anzukündigen. Praktisch jede Partei hat eine eigene Idee im Gepäck für eine staatliche Lösung. Bei den Kunden sorgt das meiner Meinung nach für Verunsicherung. Kommt die Deutschland-Rente? Wie wird die dritte Säule reformiert oder gar die gesetzliche Rente noch einmal erhöht? Gerade diejenigen, die noch nicht für ihren Ruhestand vorgesorgt haben, lehnen sich angesichts dieser Debatten zurück und warten ab, wie sie sich entwickeln. Hier braucht es Klarheit und Verlässlichkeit seitens der Politik.  

procontra: Diese Debatte dürfte angesichts des Wahljahres und einer möglichen neuen Regierungskoalition in naher Zukunft aber nicht leiser geführt werden.  

Golatka: Zu beobachten ist zumindest, dass die zweite Säule – unabhängig davon, welche Parteien sich am Ende in der Wählergunst durchsetzen werden – weiter von Bedeutung sein wird. Wichtig wäre es für die neue Regierung, insgesamt für die benötigte Klarheit zu sorgen. Die Bundesregierung muss ihren eigenen Entscheidungen auch Zeit geben, damit sie in der Umsetzung reifen können. Da brauchen wir nicht nur klarere Aussagen von der Politik, wie es in puncto Alterssicherung weitergehen soll, sondern auch langfristig verlässliche. Die ganzen Nebenkriegsschauplätze, die ständigen Diskussionen über alternative Modelle oder Staatsfonds müssen mal zur Seite gelegt werden. Dieser Zick-zack-Kurs der Politik führt am Ende dazu, dass der Bürger verunsichert wird und am Ende ohne Absicherung dasteht. Das ist verantwortungslos.

procontra: Klarheit könnte ja auch in Form eines bAV-Obligatoriums entstehen, das ja mittlerweile auch in Reihen der CDU seine Anhänger gefunden hat. Wäre das nicht die beste Lösung oder aus Ihrer Sicht eher ein Schreckensszenario?  

Golatka: Ein Obligatorium ist – zumindest aus unserer Sicht – nichts wirklich Schlimmes.  Allerdings bedeutet das Zwang und viele Menschen möchten frei entscheiden können. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen mit einer leistungsstarken betrieblichen Altersvorsorge auf die Konditionen, die für ein Obligatorium infrage kommen, zurückziehen würden – für sie wäre das ein Schnäppchen. Für mich finden diese Diskussionen jedoch immer zu sehr nach einem Schwarz-Weiß-Schema statt, es wird zu wenig auf mögliche Mittelwege geachtet: Statt eines vollumfänglichen Obligatoriums könnte man doch eine Vorstufe, ein „sanftes Obligatorium“ wählen.   

procontra: Wie würde das aussehen?  

Golatka: Den Sozialpartnern oder auch Arbeitgebern könnte ein gewisser Zeitraum zugestanden werden, in dem sie sich für eine bestehende Altersvorsorge-Möglichkeit für ihre Mitarbeiter entscheiden. Lassen sie diesen Zeitraum ungenutzt verstreichen, wird Zwang angewandt. Den Druck erhöhen, aber stufenweise – das wird meiner Meinung nach nötig sein, weil wir sonst schlicht und einfach nicht alle erreichen. Gerade in den heute im Durchschnitt schlechter versorgten kleinen und mittelgroßen Unternehmen.   Darum plädieren wir dafür, das „Auto Enrollment“ rechtssicher zu ermöglichen, also die automatische Einbeziehung der Arbeitnehmer in bestehende betriebliche Altersvorsorgesysteme. So ist es in anderen Staaten die Regel, in denen die bAV-Durchdringungsquote wesentlich höher ausfällt. Der Blick in die Welt ist in diesem Zusammenhang sehr zu empfehlen.

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