Garantien: Abschied vom Netz und doppeltem Boden
Mit lautem Medienknall ist Marktführer Allianz im Herbst 2020 aus der 100-Prozent-Beitragsgarantie ausgestiegen. Die Schockwelle war groß. „Zäsur bei Lebensversicherungen“, urteilte das „Handelsblatt“ noch recht zahm, während der „Focus“ zynisch mit „Hoffentlich riskant versichert?“ auf die Ankündigung des Marktführers reagierte und das „manager-magazin“ feststellte, dass nun ein „Tabu gebrochen“ sei.
Nun sind andere öffentlich oder heimlich dem Marktführer gefolgt. Auch R+V und Alte Leipziger sind aus der vollen Beitragsgarantie ausgestiegen. Ab 2021 gibt es bei der R+V nur noch 90 Prozent Nettobeitragsgarantie, wie die Assekuranz auf Anfrage bestätigte. Das ist somit weniger als 90 Prozent, da die Kosten davon noch runtergehen. Auch Huk-Coburg, Basler, Debeka, LVM, Stuttgarter, Swiss Life und der Volkswohl Bund bieten keine Privatpolicen mit 100-Prozent-Beitragsgarantie mehr an.
„Wenn eine 30-jährige Bundesanleihe eine Rendite nahe null aufweist, ist es schlicht unrealistisch, eine Verzinsung zu garantieren, die deutlich über null liegt“, fasst Frank Kettnaker, Vorstand Vertrieb und Marketing bei Alte Leipziger – Hallesche, zusammen. Alle Versicherer einschließlich Allianz bieten aber die 100-Prozent-Garantie bei Produkten, bei denen es erforderlich ist, wie bei Riester-Verträgen oder der Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersversorgung (bAV). Bei der Swiss Life gilt die Zäsur nicht nur für neue Privatverträge, sondern auch für neue Betriebsrenten.
Beitragsgarantie wird marktweit fallen
Andere halten einstweilen – zumindest nach außen – an der 100-Prozent-Beitragsgarantie fest. So wollen Axa, Continentale, DEVK, Ergo, Generali, Gothaer, LV 1871, Nürnberger, Signal Iduna und Württembergische 2021 für das Privatkundengeschäft Policen mit 100-Prozent-Beitragsgarantie anbieten. Teilweise wird die 100-Prozent-Garantie aber eher unter der Ladentheke gehalten. So erläutert die Signal Iduna: „Wir bieten seit Anfang des Jahres die Haupt-Produktlinie SI Global Garant Invest im Standard mit einem Garantieniveau von 80 Prozent an.“ Allein für „sehr konservative Kunden“ seien zusätzlich Garantieniveaus von bis zu 100 Prozent möglich.
Für andere Anbieter ist zweifelhaft, ob die Aussage für das ganze Jahr gilt. „Wir arbeiten an Anpassungen innerhalb unserer Produktpalette auch in Bezug auf unterschiedliche Garantiehöhen“, heißt es etwa bei der Axa. Und es wackelt bei der Ergo, denn Chef Markus Rieß hat schon öffentlich daran gezweifelt, ob die Garantie noch zeitgemäß ist. „Die 100-prozentige Beitragsgarantie dürfte früher oder später bei allen Lebensversicherern fallen“, prognostiziert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der Ratingagentur Assekurata. Und das hält der Experte für durchaus sinnvoll. In der Praxis ist es längst gang und gäbe.
Individuelle Garantieniveaus sinnvoll
Das zeigt die Assekurata-„Überschussstudie 2020“. Lediglich 18 der 28 untersuchten Unternehmen, die die sogenannte „Neue Klassik“ anbieten, hatten noch eine 100-prozentige Beitragsgarantie. Sie wurde bei diesen Unternehmen aber nur mit einer Mindestlaufzeit gewährt, die je nach Anbieter zwischen 5 und 35 Jahren lag. So musste beispielsweise bei der R+V die „PrivatRente Performance“ mindestens zwölf Jahre laufen. Allein „Perspektive“ von der Allianz hatte noch eine Vollgarantie der Beiträge ab einer einjährigen Vertragslaufzeit.
Damit ist nun bei Allianz und R+V für neue Verträge Schluss. Immerhin kann der Kunde bei der Allianz noch eine Bruttogarantie von 90 Prozent erhalten. Bei den meisten Anbietern können die Kunden künftig wählen, ob sie 90, 80 oder weniger Prozent der Beitragsgarantie zum Ende der Laufzeit abschließen wollen. Das beinhaltet zwei wichtige Botschaften: Mitnichten gibt es einen Ausstieg der Lebensversicherer aus der Altersvorsorge – aber die Beratung hinsichtlich der Garantien wird ein ganzes Stück komplexer werden.
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Sehr hilfreich sind hier zwei Assekurata-Übersichten, die für die Neue Klassik und Indexpolicen die Garantieelemente einordnen. Veröffentlicht werden die Daten Mitte Februar im Rahmen der „Überschussstudie 2021“. Viele Produkte der Neuen Klassik haben nämlich weiterhin Garantieelemente, die früher die klassische Lebensversicherung auszeichneten. Das gilt beispielsweise für einen – wenn auch oft marginalen – Garantiezins in der Aufschub- oder Rentenbezugsphase, garantierte Rechnungsgrundlagen oder einen garantierten Rentenfaktor.
Die gemeinsame Klammer um alle Tarife bildet neben garantierten Rückkaufswerten nur noch eine garantierte lebenslange Mindestrente. Dieses prägende Alleinstellungsmerkmal der Lebensversicherung bleibt somit in den neuen klassischen Produkten weiterhin erhalten.
Oft wird das Sicherungsvermögen der Lebensversicherung – durch den Ausgleich im Kollektiv und durch den Ausgleich über die Zeit – als Rettungsanker genutzt. Es erzielt eine relativ schwankungsarme Rendite. Kombiniert wird diese Anlage dann mit Fonds. Diese komplexen Produkte dem Verbraucher transparent zu machen erfordert künftig eine noch „fundiertere Beratung“, wie die Axa feststellt.
In der Praxis funktioniert das schon ganz gut. So konnte allein die R+V 2020 in den ersten neun Monaten bei den Produkten mit neuen Garantien den Neubeitrag um 52 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern. „Bei uns wählen bei der AL_Rente-Flex weniger als die Hälfte der Kunden ein Garantieniveau von mehr als 50 Prozent“, sagt Alte-Leipziger-Vorstand Kettnaker. Bei diesem Produkt wird beispielsweise in erster Linie die Aufteilung der Beiträge in eine klassische Anlage und in die Fondsanlage vereinbart.
Vollausstieg aus Garantie sinnvoll
Eine Musterrechnung zeigt, welches Garantieniveau die Kunden mit unterschiedlichen Aufteilungen in den gewählten Fonds Amundi Prime Global erreichen können, wenn eine 6-prozentige Performance unterstellt wird. So steigt die mögliche Überschuss-Nettorendite nach Kosten von 1,83 auf 4,85 Prozent. Bei der Volleinzahlung in den Deckungsstock der Alte Leipziger erreicht der Kunde sogar 101 Prozent Garantie. Grund ist die lange Laufzeit von 37 Jahren. Bei kürzeren Laufzeiten ist ein Beitragserhalt auch bei diesem Produkt nicht mehr möglich – eine echte Beitragsgarantie gibt es somit nicht. Ganz deutlich können Vermittler an diesem Beispiel zeigen, was Garantien kosten.
Wer allein auf den Fonds setzt, „verliert“ nur eine Performance von 1,15 Prozent, während der „Vollschutz“ sage und schreibe 4,17 Prozent Rendite kostet. Den Kunden muss also deutlich gemacht werden, dass die persönliche Rentenlücke am besten geschlossen werden kann, wenn es weniger Garantien im Produkt gibt. Experte Heermann: „Es gilt der grundlegende Zusammenhang: Je höher das Risiko, desto höher die Renditechance.“ Konsequent zu Ende gedacht, führt das – wie im Beispiel – zur Fondspolice ohne jede Garantie.
Laut Heermann hat die fondsgebundene Rentenversicherung aber durchaus Vorteile, die Banken- und Aktienanlagen nicht leisten können. So können die Kunden die Fonds mehrmals im Jahr ohne Gebühren wechseln, ihren Vertrag während der Laufzeit flexibel anpassen, haben den Steuervorteil der halben Ertragsbesteuerung und sichern das Risiko der Langlebigkeit – die zentrale Herausforderung in der Altersvorsorge – ab.
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