Rechtsfallen in der BU: „Gesundheitsfragen sollten Makler nicht zu locker sehen“
Die eigene Arbeitskraft abzusichern, kann im Falle eines Unfalls oder einer Erkrankung die Existenz sichern. Doch auf manche Versicherte, die jahrelang eingezahlt haben, wartet am Ende eine böse Überraschung, wenn ihr Antrag auf Leistung abgelehnt wird. In 21 Prozent der Fälle wird eine beantragte BU-Rente nicht bewilligt, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Ratingagentur Franke und Bornberg.
So ging es auch einem IT-Consultant, der an dem Schmerzsyndrom Fibromyalgie erkrankt war. 2012 bestätigte sein Arzt ihm die Berufsunfähigkeit, woraufhin der bei der Axa BU-Versicherte Leistungen beantragte. Die Versicherung wies zunächst die Leistungspflicht zurück, gewährte dann aber innerhalb eines Vergleichs, dem der Erkrankte zustimmte, eine vierjährige Zahlung in Höhe von circa 75 Prozent der dem ihm laut Vertrag zustehenden BU-Rente.
Nach Ablauf dieser Zeit beantragte der Versicherte eine Fortführung der Leistungen. Dies lehnte die Axa allerdings mit der Begründung ab, dass die erforderliche 50-prozentige Berufsunfähigkeit des Versicherten nicht bestünde. Der Betroffene kontaktierte Mitte 2017 die Fachanwältin für Versicherungsrecht Aylin Kempf, und bat um rechtliche Unterstützung. Nachdem es außergerichtlich nicht zu einer Einigung gekommen war, reichte sie Klage beim Landgericht Passau ein. Das Landgericht verurteilte schließlich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Axa Versicherung zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente. Das OLG München wies nun mit Urteil vom 25. Juni 2020 die Berufung der Versicherung zurück.
procontra hat mit der auf Versicherungsrecht spezialisierten Anwältin Aylin Kempf der Münchener Kanzlei L & P Luber Pratsch Rechtsanwälte Partnerschaft (nicht nur) über den Fall gesprochen.
procontra: Frau Kempf, Sie haben den erkrankten Versicherungsnehmer vertreten. Dass die Versicherung ihm die Leistung verweigert hat, war „rechtsfehlerhaft“, so ihr Vorwurf. Inwiefern?
Aylin Kempf: Das Verfahren ging schon sehr ungünstig für den Versicherungsnehmer los. Er hatte im Jahr 2012 den ersten Leistungsantrag an die Axa gestellt. Damals wurde als Vergleich die Einigung getroffen, dass die Versicherung die BU-Rente für vier Jahre zahlt. Das ist ein leider übliches Vorgehen vieler Versicherer, das generell schon problematisch ist.
procontra: Wie werden solche Befristungen in der Regel begründet?
Kempf: Die Argumentation ist meistens schwammig, beispielsweise in Richtung: „Wir können die Berufsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend prüfen und beurteilen und bieten daher eine 80-prozentige Zahlung für die Dauer von soundso vielen Jahren an.“ Grundsätzlich hat der Versicherte aber einen Anspruch darauf, dass eine klare Entscheidung getroffen wird: Der Versicherer leistet oder eben nicht. Erst dann hat der Kunde die Möglichkeit, seine Rechte prüfen zu lassen. Doch Versicherte lassen sich oft auf Vergleiche ein, weil sie in ihrer Notlage denken „besser ich willige ein, als dass ich am Ende gar nichts bekomme“.
procontra: Wie war es im konkreten Fall?
Kempf: Hier hatte der Versicherte nach Ablauf der vier Jahre noch immer mit seiner Krankheit zu kämpfen und stellte erneut einen Leistungsantrag. Daraufhin wurde er von der Axa zu einem – unserer Kanzlei bereits wohlbekannten – Gutachter geschickt, der zu dem Ergebnis kam, dass es sich nicht um eine Fibromyalgie handele, sprich: unser Mandant simuliere. Damit wurde der Antrag abgelehnt. Dieses Gutachten war aber an vielen Stellen fehlerhaft. Wir hatten von den behandelnden Ärzten unseres Mandanten die Bestätigung, dass die Krankheit vorliegt. Vom Gericht gab es dann im Verlauf des Verfahrens das Gutachten eines neutralen Arztes. Dieser hat die Diagnose der behandelnden Ärzte bestätigt, womit wir in der ersten Instanz gewinnen konnten.
procontra: Womit sich die Versicherung aber nicht zufriedengeben wollte.
Kempf: Die Axa versuchte das Gutachten in zweiter Instanz anzugreifen, was dann aber ebenfalls scheiterte. Prozesstaktisch hat sie alles herausgeholt, es kam nochmals zu einem Jahr Verzögerung für unseren Mandanten. Vor vier Wochen hat er nun endlich sein Geld bekommen.
procontra: Kann er sich nun darauf verlassen, die BU-Rente dauerhaft zu erhalten?
Kempf: Er muss erst einmal keine weiteren Anträge stellen, weil die Versicherung grundsätzlich verpflichtet ist, unbefristet zu leisten. Allerdings sind die Versicherer berechtigt, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob der Leistungsanspruch noch besteht. Das nutzen manche Anbieter intensiver als andere. Manche schicken ihre Kunden alle ein, zwei Jahre zum Gutachter, andere sind kulant und rücken ihnen weniger auf die Pelle – natürlich nur solange sich nichts Offensichtliches ändert. Zum Beispiel in Form einer neuen beruflichen Tätigkeit oder einer ausgeheilten Erkrankung. Dann muss der Versicherte natürlich darüber informieren und die Versicherung kann womöglich Leistungen einstellen.
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procontra: Sie sind als Anwältin auf Versicherungsrecht spezialisiert. Kommt es häufig vor, dass es zum Thema BU Rechtsstreitigkeiten gibt? An welchen Klauseln und Bedingungen hakt es?
Kempf: Ja, BU-Streitigkeiten sind verbreitet. Die meisten Klauseln sind aber aus juristischer Sicht in Ordnung. Das Hauptproblem besteht unserer Erfahrung nach in der medizinischen Prüfung. Das ist ein Klassiker: Der Versicherungsnehmer stellt den Antrag auf Leistung und legt ein ärztliches Attest bei – beispielsweise, dass er eine Depression hat. Hier gibt es besonders oft Unverständnis, warum der Erkrankte nicht – mithilfe von Medikamenten – weiterarbeiten kann. Ob eine Erkrankung überhaupt vorliegt und ob sie zur Einschränkung der beruflichen Tätigkeit führt, wird häufig angezweifelt.
procontra: Das gilt insbesondere bei psychischen Erkrankungen?
Kempf: Ja, es ist für die Versicherer relativ leicht, hier die Berufsunfähigkeit zu bestreiten. Solche Krankheitsbilder lassen sich schlechter objektivieren und belegen als beispielsweise ein Bandscheibenvorfall. Den Vollbeweis zu erbringen, ist in einem Klageverfahren dann schwierig. Generell gilt dann aber: Der Arzt muss nicht bestätigen, dass die Erkrankung zur Berufsunfähigkeit führt, sondern lediglich, dass sie vorliegt. Damit kommen wir im Klageverfahren an den Punkt, an dem unabhängige Gerichtsgutachter die Diagnose noch einmal überprüfen. Diese leisten in der Regel gute Arbeit und bestätigen die Diagnose meist auch.
procontra: … im Gegensatz zu den Gutachtern, die von den Versicherungen beauftragt werden?
Kempf: Naja, unsere Erfahrung ist tatsächlich, dass diejenigen Gutachter, die immer wieder von den Versicherungen eingesetzt werden, oft auch in deren Sinne entscheiden. Mit dem Ergebnis, dass ihnen zufolge häufig keine Berufsunfähigkeit vorliegt.
procontra: Gibt es in den Bedingungswerken der BU-Anbieter vergleichsweise große Unterschiede?
Kempf: Die meisten ähneln sich im Wesentlichen. In manchen steht, dass man für den Leistungsfall dauerhaft berufsunfähig sein muss, in anderen geht es um mehr als sechs Monate Berufsunfähigkeit. In der gerichtlichen Umsetzung nimmt sich das meist nicht viel. Der einzige Punkt, der juristisch relevant ist, ist das Nachprüfverfahren. Hier gibt es abstrakte und konkrete Verweisungsklauseln. Bei der abstrakten Klausel ist die Versicherung berechtigt, den Versicherten auf einen beliebigen Job zu verweisen. Diese schlechteren Bedingungen kenne ich aber eher aus älteren Verträgen, heute gibt es sie kaum noch.
procontra: Was können Makler tun, um Versicherungsnehmer so gut wie möglich zu wappnen, damit es nicht zu Rechtsstreitigkeiten kommt?
Kempf: Wir haben sehr oft Anfechtungen von Verträgen seitens der Versicherer auf dem Tisch. Ein Beispiel: Nach acht Jahren Laufzeit stellt der Kunde aufgrund einer Erkrankung des Bewegungsapparats einen Antrag auf BU. Die Versicherung prüft den Fall und stellt fest: Zwei Jahre vor Vertragsabschluss gab es schon mal einen Bandscheibenvorfall, der nicht angegeben wurde. Solche Fälle sind für uns als Anwälte besonders komplex. Daher der Rat: Für Versicherte und Makler ist es absolut entscheidend, hier gut aufzupassen. Unsere Erfahrung ist leider, dass die Fragebögen zur Krankengeschichte in der Beratung oft nebenbei während des Kaffeetrinkens ausgefüllt werden. Statt konkret zu werden, fragt der Makler: „Hattest du in den letzten paar Jahren größere Geschichten?“. Dabei will die Versicherung wissen, ob es Behandlungen des Rückens gab – es muss nicht einmal eine OP stattgefunden haben. Wenn hier geschlampt wird, rächt sich das. Also bitte nicht zu locker sehen!
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