Wegen Wirecard: Wackelt der 34f-Aufsichtswechsel?
Razzien in den Geschäftsräumen, der Chef – kaum zurückgetreten – schon festgenommen und die Aktie am Boden. Der Skandal um den deutschen Zahlungsabwickler Wirecard aus Aschheim bei München ist beispiellos. Das sieht offenbar auch der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, so. Der dpa sagte er gestern: „Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe."
Wirecard fehlen 1,9 Milliarden Euro. Es geht um „Luftbuchungen“, mutmaßliche Bilanzfälschung und insgesamt wohl einen der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik. Aber hätten die verschiedenen Aufsichtsorgane dem nicht auf die Schliche kommen müssen? Immerhin ist Wirecard bereits vor knapp zwei Jahren in den Dax aufgestiegen. Zur Rolle seiner Behörde sagte Hufeld: „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert.“
Lieber um offene Baustellen kümmern
Auch wenn sich bestimmt kein Finanzdienstleister oder deren Interessenvertreter den Wirecard-Skandal gewünscht haben, so sind er und Hufelds Worte doch Wasser auf ihre Mühlen. Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des Vermittlerverbands AfW, sagte: „In Anbetracht des Wirecard-Skandals und der damit mehr und mehr öffentlich werdenden Versäumnisse auch der BaFin – ein Supergau! – erscheint es unmöglich, der BaFin zusätzliche Aufgaben zu übertragen.“
Seitdem bekannt wurde, dass die Große Koalition die Finanzanlagenvermittler (§ 34f GewO) unter die Aufsicht der BaFin stellen möchte (aktuell werden diese von den Industrie- und Handelskammern sowie Gewerbeämtern beaufsichtigt), laufen die Vermittlerverbände Sturm. Der AfW und auch andere Verbände haben seitdem mehrfach betont, dass einer großen Behörde wie der BaFin, die auf Versicherungsunternehmen und Banken ausgerichtet ist, die Kompetenz zur Beaufsichtigung von mittelständischen Gewerbetreibenden fehle.
Bei der BaFin habe man intern bereits circa 40 erfahrene Mitarbeiter identifiziert, die sich um die neue Aufgabe kümmern sollen. Laut Wirth sollten sich diese lieber weiter um die bestehenden Aufsichtsaufgaben kümmern, da hier „offensichtlich dringender Handlungsbedarf besteht“.
Seite 1: Kein 34f-Aufsichtswechsel wegen Wirecard? Seite 2: Bundesregierung will Kostenkalkulation nicht anpassen
Auch bei der BaFin selbst sieht man Handlungsbedarf, um die zuletzt knapp 38.000 Finanzanlagenvermittler ordentlich betreuen zu können. Um aber diese neuen Strukturen zu schaffen, wird die Bundesanstalt Kosten produzieren müssen. Diese sollen die Vermittler über Gebühren für ihre Erlaubnis tragen.
Aktuell liegen diese, laut AfW, bei etwa 600 Euro jährlich. Das SPD-geführte Bundesfinanzministerium (BMF) rechnete in seinem Referentenentwurf mit einer Erhöhung dieser jährlichen Kosten auf etwa 1.000 Euro (was Kritiker immer noch als zu niedrig angesetzt sehen). Dabei dienen rund 37.000 Vermittler als Grundlage, auf die sich die Gesamtkosten verteilen sollen.
Aus Umfrageergebnissen des AfW geht aber hervor, dass in Folge des Aufsichtswechsels etwa jeder zweite 34f-Vermittler seine Erlaubnis abgeben würde. Somit würden sich die Gesamtkosten auf deutlich weniger Köpfe verteilen. Der Vermittlerverband rechnet dann mit bis zu 5.000 jährlich pro Zulassungsinhaber. Wie kürzlich bekannt wurde, geht man auch bei der BaFin in Folge des Aufsichtswechsels von einem Rückgang der Zulassungen bei den Finanzanlagevermittlern um circa 50 Prozent aus.
Bundesregierung sieht keine Anpassungsgründe
Trotz dieser Einschätzung der potenziellen Aufsicht will die Bundesregierung (mittlerweile liegt der Gesetzentwurf vor) aber nicht von ihrer Kostenkalkulation abweichen. Das antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin im BMF, Sarah Ryglewski, auf eine schriftliche Nachfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler. Die von der BaFin geschätzte Reduzierung der Vermittler habe keine Auswirkungen auf die Kostenkalkulation im Gesetzentwurf und mache keine Änderungen erforderlich, heißt es dazu in Ryglewskis Antwort, die der procontra-Redaktion vorliegt.
Schäffler sagte: „Es ist ein Skandal, dass die Regierung nicht einmal nach der Anhörung im Finanzausschuss ihre Zahlen korrigiert. Dabei ist inzwischen mehr als klar, dass die Hälfte der Vermittler keine Zulassung als Finanzanlagevermittler mehr haben, sondern sich als gebundene Vermittler einer Vertriebsgesellschaft anschließen werden. Für die verbleibenden Vermittler werden die Kosten daher explodieren. Das weiß auch der Finanzminister und täuscht damit wissentlich die gesamte Branche."
Sowohl die Union als auch die FDP wollen den Aufsichtswechsel in der aktuell geplanten Form nicht durchwinken. Eigentlich soll die neue Maßnahme ab Januar 2021 Anwendung finden und die BaFin würde für die neue Aufgabe natürlich Einarbeitungszeit benötigen. Ein baldiger Beschluss ist nun aber in weite Ferne gerückt.
Seite 1: Kein 34f-Aufsichtswechsel wegen Wirecard? Seite 2: Bundesregierung will Kostenkalkulation nicht anpassen