pro&contra

Schadet der Wefox-Rückzug der deutschen Versicherungsbranche?

Einst gefeiert, hoch bewertet und jetzt zieht sich Wefox zurück. Ist der Branche damit ein schwerer Schaden entstanden? Manuel Ströh, Fresh Insurance, sagt ja. Anna Kessler, InsurLab-Geschäftsführerin, sieht dagegen weiterhin Hoffnungen für die Versicherungsbranche und für Start-ups.

09:08 Uhr | 02. August | 2024
Schadet der Rückzug von Wefox der gesamten Versicherungsbranche?

Anna Kessler, Geschäftsführerin InsurLab, glaubt nicht an einen Schaden durch Wefox. Manuel Ströh, Fresh Insurance, ist da kritischer.

| Quelle: InsurLab, Fresh Insurance

Pro: "Transformation der Versicherung ist eine Mammutaufgabe und genau deshalb ist das Scheitern von wefox tragisch."
Manuel Ströh, Gründer und Geschäftsführer Fresh Insurance

Der materielle Schaden der Branche durch den Rückzug von Wefox aus Deutschland wird voraussichtlich überschaubar bleiben. Die größten Unannehmlichkeiten treffen leider vor allem Vermittler und deren Kunden. Durch den schnellen und teils unkontrollierten Ausstieg aus dem Versicherungsgeschäft häufen sich die Anfragen von Vermittlern in Internetforen: „Wie kann ich jemanden bei Wefox erreichen?“ und „Kennt jemand noch einen aktiven Maklerbetreuer bei Wefox?“ Telefonnummern und E-Mail-Adressen werden ausgetauscht.

Doch die Branche hat sich als sehr resilient erwiesen. Die Hilfe untereinander ist herausragend, und in kritischen Momenten hält man zusammen. Das ist bemerkenswert und ein Grund, stolz zu sein. Die meisten „Nachwehen“ sind bereits abgeklungen. Kunden haben neue Verträge, und die Vermittler haben demonstriert, warum es wichtig ist, einen kompetenten Berater an der Seite zu haben.

Ist also alles halb so schlimm? Das kommt darauf an, welche Lehren nun gezogen werden. Wefox einfach als „Luftnummer“ und den ehemaligen CEO als „Blender“ abzutun, greift zu kurz. Wie konnte es passieren, dass 1,2 Milliarden Euro in ein Startup fließen, das nun zu großen Teilen abgewickelt wird? Die Antwort ist unbequem, denn sie nimmt uns alle in die Verantwortung: Wefox hat die richtigen Fragen gestellt, aber leider nicht die richtigen Antworten gefunden. Warum ist Versicherung immer noch nicht wirklich digital, obwohl die immaterielle Ware „Versicherung“ geradezu prädestiniert dafür ist? Wie kann es sein, dass nahezu jeder Versicherer sein eigenes „Betriebssystem“ unterhält und selbstverständlich davon ausgeht, dass Partner und Kunden dieses lernen und nutzen? Warum können Kunden und Vermittler immer noch keine standardisierten digitalen Daten von Versicherern abrufen? PDF-Dokumente gelten nicht.

Eine Antwort auf diese Fragen zu finden, würde die Versicherungsbranche einen gewaltigen Schritt nach vorne bringen. In diesem Zusammenhang relativieren sich auch die Investitionen in Wefox von 1,2 Milliarden Euro über zehn Jahre. Allein im letzten Jahr lagen die Investitionen in IT bei den Versicherern bei 5,9 Milliarden Euro. Die Transformation der Versicherung ist eine Mammutaufgabe, die im Kopf beginnt.

Genau deshalb ist das Scheitern von Wefox tragisch. Bei allen Fehlern, die sicherlich passiert sind: Die Vision von Wefox war ambitioniert und richtig. Nur wird diese nun mit dem Scheitern des Unternehmens an seinem eigenen Anspruch verknüpft. Wefox wird als Steilvorlage für die Ablehnung großer Lösungen dienen. Doch genau diese sind jetzt nötig. Ansonsten droht der Branche irgendwann ihr eigener „Tesla-Moment“.

contra: "Für etablierte Versicherer bietet der Rückzug von wefox die Chance, sich noch stärker auf Innovationen im Markt zu konzentrieren."
Anna Kessler, Geschäftsführerin des InsurLab

Der Rückzug von Wefox zeigt, wie herausfordernd es selbst für ein stark finanziertes InsurTech ist, ein nachhaltig profitables Geschäftsmodell in Deutschland aufzubauen. Die jüngste Entwicklung ist für die Versicherungsbranche zugleich Chance und Verpflichtung, die Resilienz und Innovationskraft durch die Zusammenarbeit mit Start-ups zu stärken. Fakt ist: Hohe regulatorische Anforderungen und Finanzierungslücken erschweren es jungen Unternehmen, hier Fuß zu fassen. InsurTechs müssen viele Auflagen erfüllen und ausreichend Kapital beschaffen, um ihre innovativen Ideen umzusetzen. Zudem sind lange Sales-Zyklen in der Versicherungsbranche eine Herausforderung, die einen langen Atem erfordern. Diese Rahmenbedingungen führten dazu, dass viele Start-ups auf internationale Investoren angewiesen sind, was nachhaltiges Wachstum erschwert.

Klare Positionierungen und kooperationsorientierte Geschäftsmodelle mit Versicherungsunternehmen sind für InsurTechs entscheidend, auch das lernen wir am Beispiel von Wefox. Das Ökosystem des InsurLab Germany hat diesbezüglich viele positive Entwicklungen und Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Auch mit Neo-Insurern wie Ottonova, das sich mit der Debeka zusammengetan hat, oder das Joint Venture von Neodigital und HDI. Auch der Wefox-Marktbegleiter Dentolo arbeitet eng mit DA Direkt beziehungsweise der Zurich Gruppe zusammen.

Partnerschaftliche Modelle ermöglichen es InsurTechs, die bestehende Infrastruktur und das Vertrauen in etablierte Versicherer zu nutzen, während sie ihre technologischen und kund:innenorientierten Stärken einbringen. Diese symbiotische Beziehung führt zu stabileren Geschäftsmodellen und einer höheren Akzeptanz bei den Kund:innen. Der Rückzug von Wefox unterstreicht die Notwendigkeit, die regulatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen für Start-ups zu verbessern, damit Deutschland eine international wettbewerbsfähige Rolle im InsurTech-Bereich einnehmen kann.

Gleichzeitig steht die deutsche Versicherungswirtschaft mehr denn je in der Innovationspflicht. Trotz der jüngsten Meldungen hat das Beispiel Wefox gezeigt, dass es möglich und wichtig ist, traditionelle Versicherungsmodelle durch technologische Innovationen und Fokus auf Customer Experience weiterzuentwickeln. Für etablierte Versicherer bietet der Rückzug von Wefox somit die Chance, sich noch stärker auf Innovationen im Markt zu konzentrieren. Die Zusammenarbeit mit Start-ups bietet hierfür eine erfolgversprechende Möglichkeit. Alle Marktteilnehmer sind daher gefordert, den Fortschritt im Sinne der Kund:innenorientierung und der (digitalen) Transformation gemeinsam aktiv voranzutreiben. Nur so kann das Vertrauen in die Branche langfristig und nachhaltig gestärkt werden.