„Eine Absenkung der Riester-Beitragsgarantie halte ich für komplett falsch“
procontra: Braucht Deutschland weiterhin eine staatlich geförderte private Altersvorsorge?
Walter Riester: Ja, die braucht es, weil viele Menschen mit dem ergänzenden Sparen überfordert sind und dabei Hilfe brauchen. Ich spreche speziell von den vielen Menschen hierzulande, die nur wenig Geld zurücklegen können und deshalb eben mehr Unterstützung benötigen, zum Beispiel in Form von Zulagen.
procontra: Da die Riester-Rente bislang weder reformiert noch durch ein neues Produkt ersetzt wurde, könnte man auch den Eindruck erlangen, dass die Politik das anders sieht…
Riester: Dass die Rücklagenbildung für eine Lebensstandardsicherung im Alter für viele Menschen nicht ausreichend ist, wird in der Politik sehr wohl gesehen. Es besteht kein Erkenntnis- sondern ein Handlungsdefizit. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen, auch rentenversichert, keine ausreichende Rente bilden können. Zur Zeit der Rentenreform im Jahr 1957 waren 95 Prozent der Erwerbstätigen in Vollzeit beschäftigt. Heute sind das noch etwa 50 Prozent und die andere Hälfte ist in Teilzeit beschäftigt mit in der Regel auch nur Teilzeiteinkommen. Dadurch bilden sie geringere Rücklagen in der sozialen Rentenversicherung und leisten nebenbei auch weniger Beiträge für das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente. Aber auch die Teilzeitbeschäftigten möchten, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden, eine Rente bekommen, die ihnen ihren Lebensstandard möglichst weitgehend absichert. Diese Situation ist also eine deutliche Veränderung. Vor diesem Hintergrund muss die Antwort ganz klar lauten: Ja, wir brauchen dringend weiterhin eine staatlich geförderte private Altersvorsorge.
Die Einstellung des Neugeschäfts war aus meiner Sicht ein solcher Tiefpunkt für das Image der Riester-Rente, von dem aus man jetzt nicht einfach wieder den Schalter umlegen und das Produkt wieder verkaufen kann.Walter Riester
procontra: Wahrscheinlich wird der Höchstrechnungszins zu Beginn 2025 auf ein Prozent angehoben. Damit würde die Riester-Rente wieder profitabel für den Vertrieb der Lebensversicherer, weil dann nach Abzug der Kosten wieder mindestens die eingezahlten Beiträge garantiert werden könnten. Erlebt die Riester-Rente also bald ein Comeback im Neugeschäft?
Riester: Aus diesem Grund sicherlich nicht. Der Höchstrechnungszins gibt dem Versicherer den Höchstzinssatz für die Abzinsung der Deckungsrückstellung vor. Er ist weder ein Messpunkt für die Profitabilität der Riester-Rente noch bestimmt er die Vertriebskosten. Die Riester-Rente hat bereits in ihrer parlamentarischen Entstehungsphase viel medialen Gegenwind erhalten, vor allem durch die Bild-Zeitung. Ursprünglich sollte sie ja obligatorisch für alle Menschen eingeführt werden, wofür ich am Ende aber leider keine Mehrheit mehr bekommen habe. Bevor jetzt in 2021 und 2022 viele Anbieter das Neugeschäft eingestellt haben, hat die Riester-Rente eineinhalb Jahrzehnte lang ein Trommelfeuer der Kritik erfahren. Die Einstellung des Neugeschäfts war aus meiner Sicht ein solcher Tiefpunkt für das Image der Riester-Rente, von dem aus man jetzt nicht einfach wieder den Schalter umlegen und das Produkt wieder verkaufen kann.
procontra: Heißt das, die Riester-Rente ist damit ein für alle Mal beerdigt worden?
Riester: Nein. Aber um sie für das Neugeschäft wieder attraktiv zu machen, braucht es schon mehr als nun einfach nur wieder mit dem Verkauf zu beginnen.
procontra: Was braucht es denn mehr? Sollte man beispielsweise die 100-prozentige Beitragsgarantie lockern?
Riester: Eine Absenkung der Beitragsgarantie, um dann mehr in Aktien investieren zu können, halte ich für komplett falsch. Das ist sogar total absurd. Denn es gibt ja bereits Riester-Fondssparpläne. Bei diesen wird das Geld in Aktien angelegt und trotzdem müssen die eingezahlten Beiträge zu Beginn des Rentenbezugs laut Gesetz vollständig zur Verfügung stehen. Die eingezahlten Beiträge 100-prozentig zu garantieren, zu denen ja auch die Zulagen aus Steuermitteln zählen, ist das absolut Mindeste, was man von einem Anbieter erwarten kann. Die Riester-Fondssparpläne zeigen ja bereits, dass das möglich ist. Daran müssen sich auch die Lebensversicherer messen lassen.
An der lebenslangen Rentenleistung von Riester-Produkten könnte man schon drehen.Walter Riester
procontra: Sollte auch die lebenslange Rentenleistung erhalten bleiben oder könnte man daran drehen?
Riester: Daran könnte man schon drehen, zum Beispiel indem man einen Riester-Fondssparplan macht und dann zum Ende der Einzahlungsphase einen individuellen Auszahlungsplan bis zum Alter von 75 oder auch 85 festlegt. Die lebenslange Rentenleistung bei Riester ist ein Argument für die Ergänzung zur Sozialversicherungsrente, muss aber nicht zwingend so bleiben.
procontra: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Riester-Rente von der Politik?
Riester: Dass sie, wie gesagt, obligatorisch ist und für alle Menschen direkt gilt. Also dass nicht unterschieden wird zwischen Förderfähigen, ihren Ehepartnern und so weiter. In Schweden gilt dieses Prinzip erfolgreich seit 25 Jahren. So auch meine Forderung 1999. Hätte es dafür eine Mehrheit gegeben, bestünden heute deutlich über 50 Millionen geförderte Sparverträge.
procontra: Sehen Sie in der aktuellen politischen Lage die Chance, dass die Riester-Rente in Zukunft obligatorisch wird?
Riester: Nein. 25 Jahre des An-die-Wand-Klatschens und öffentlicher Streit über zu hohe Vertriebskosten haben hier leider nicht zum Umdenken beigetragen.
procontra: Sie sagen es – das Image der Riester-Rente in der Gesellschaft hat in den letzten Jahren weiter gelitten. Würden Sie sich wünschen, dass die staatlich geförderte private Altersvorsorge auch in Zukunft Ihren Namen trägt?
Riester: Das habe ich mir damals nicht wünschen können und das tue ich jetzt auch nicht. Es stört mich auch nicht. Solche Entscheidungen trifft nicht die Politik, sondern die Bevölkerung. Ich erinnere mich noch an den Tag, als mir damals als Bundesarbeitsminister zwei Mitarbeiter die Zeitung auf den Tisch gelegt haben, in der groß geschrieben ‚Riester-Rente‘ stand. Die wollten gleich mit einer einstweiligen Verfügung dagegen vorgehen, weil sie geahnt haben, dass dann auch alles Negative mit mir persönlich in Verbindung gebracht werden wird. Ich habe aber davon abgesehen, weil ich davon ausging, dass es sich auf jeden Fall so in den Medien und der Bevölkerung verbreiten wird, wenn es der griffigere Titel ist. Und so kam es ja dann auch.