„Der Hebel in Sachen Finanzbildung ist nicht groß“
procontra: Kunden mit großem Finanzwissen bedeuten höheren Umsatz für Finanzberater. Stimmen Sie zu?
Professor Matthias Beenken: Ich glaube, dass Kunden mit einem besseren Überblick auch bessere Entscheidungen treffen. Sie bereuen ihre Käufe wahrscheinlich seltener und bleiben ihren Entscheidungen länger treu. Und sie werfen dem Berater im Nachhinein womöglich seltener eine Falschberatung vor.
procontra: Also schließen Kunden mit hoher Finanzbildung grundsätzlich nicht mehr ab?
Beenken: Vielleicht wählen sie andere Produkte. Eventuell setzt der gebildete Kunde seinen Verkäufer eher unter Druck und sagt: „Aktiv gemanagte Fonds kosten mehr. Ich hätte gerne einen ETF und möglichst niedrige Kosten.“ Bei dieser Klientel hat ein Verkäufer mehr Mühe, den Kunden zufrieden zu stellen.
procontra: Ein passiv gemanagter Fonds wirft für den Berater weniger Provision ab. Bedeuten klügere Kunden also sogar weniger Gewinn für den Berater?
Beenken: Ich vermute, dass solche Kunden gar nicht erst zu einem klassischen Vermittler gehen. Sie eröffnen eher über eine Direktbank ein Depot oder lassen es via Fintech und Robo-Advisor managen. Das sind Kunden, die für eine Bank oder einen klassischen Vermittler verloren sind, mit ihnen verdienen sie nichts.
procontra: Wenn Finanzvermittler etwas verkaufen wollen, mit dem sie gut verdienen können, ist das nicht das Beste für die Kunden?
Beenken: Das ist eine Frage der Kundentypoplogie. Es gibt Kunden, die an eine bestimmte Entwicklung glauben und bereit sind, höhere Kosten für einen aktiv gemanagten Themenfonds in Kauf zu nehmen.
procontra: Stoßen Makler eher bei jüngeren oder älteren Kunden auf ein ausgeprägteres Finanzwissen?
Beenken: Forschungen zeigen, dass Vorbildung und Alter nicht miteinander korrelieren. Es geht um die Frage nach dem Bildungsstand. Das zieht sich quer durch die Altersklassen. Mit einem anderen Bildungshintergrund interpretiert man Erfahrungen anders.
procontra: Sollte der Makler seinen Bestand hinsichtlich des Finanzwissens klassifizieren nach Laien, Fortgeschrittene, Profis – und diese Zielgruppen dann individuell ansprechen?
Beenken: Auf jeden Fall, das ist sinnvoll. Er muss aber auch wissen, wie beratungs- oder betreuungsaffin der Kunde ist und was er tun muss, um die Kundenbindung zu stärken.
procontra: Sollten Finanzberater das Finanzwissen ihrer Kunden schulen?
Beenken: Nein, es ist nicht ihre Aufgabe eine finanzielle Allgemeinbildung bei den Kunden herzustellen. Aber natürlich bleibt ihnen letzten Endes nichts anderes übrig als fehlendes Wissen zu ergänzen. Und das ist ja auch Teil der Eignungsprüfung. Berater müssen nach den bisherigen Erfahrungen und Kenntnissen der Kunden fragen. Das geschieht auch im eigenen Interesse. Denn dann können sie anschließend gegebenenfalls risikoreichere Produkte verkaufen. Wissensvermittlung ist aber nicht per se Aufgabe des Beraters, sondern eher ein Verkaufsinstrument.
procontra: Sind jüngere oder ältere Kunden offener für eine Wissensvermittlung durch den Berater?
Beenken: Das ist weniger eine Frage des Alters, sondern eher eine des Bildungsstands. Ein älterer Kunde fragt vielleicht gezielter nach. Er schließt nicht das Erstbeste, das ihm empfohlen wird, ab. Er setzt sich erst einmal mit dem Thema auseinander.
procontra: Welche Kanäle funktionieren für eine Wissensvermittlung gut?
Beenken: Es wird immer behauptet, dass es vor allem junge Menschen seien, die sich eine digitale Ansprache wünschen. Das ist nicht meine Erfahrung. Das wollen eher diejenigen zwischen 40 und 55 Jahren. Sie stehen im Beruf, haben eine gewisse Vorbildung und wenig Zeit, sie brauchen Informationen schnell und effizient und entscheiden zügig. Junge Kunden überlegen länger, sie tun sich schwerer mit der Entscheidung. Sie haben noch nicht so viel Geld und davon etwas zur Seite zu legen, ist ein großer Schritt. Die Beratungsaffinität verläuft wie in einer Kurve: Sie ist zu Beginn groß bei den jungen, eher unerfahrenen Kunden und dann wieder bei den älteren Kunden, die bestimmte Zusammenhänge nicht kennen.
procontra: Vertrauen Anleger anderen Quellen nicht ohnehin mehr als einem Finanzberater?
Beenken: Ja, das ist tatsächlich so. Im Rahmen einer Studie haben wir festgestellt, dass die wichtigste Quelle für die Informationsbeschaffung das Internet ist. Erst danach kommen Familie, Freunde und dann die Berater. Der Hebel in Sachen Finanzbildung ist also gar nicht so groß.
procontra: Wie können Berater finanzielles Wissen vertrauensvoll vermitteln, ohne belehrend zu wirken?
Beenken: Kunden hören auf die Zwischentöne, wenn sie über ein Produkt aufgeklärt werden. Sie informieren sich vorher im Internet, was ein guter Berater sagen sollte. Ankersätze, die zur transparenten Beratung gehören und das Vertrauen stärken. Und dann überprüfen sie genau, ob sie etwas davon wiedererkennen. Der Berater sollten keine Monologe halten, sondern geschickt fragen. Er muss den Kunden dazu bringen, selbst zu erkennen, was ihm bei seiner Finanzentscheidung wichtig ist.
procontra: Sollten Berater also bestimmte Fragen antizipieren?
Beenken: Das sage ich schon lange: Es kann doch nicht sein, dass man als Verkäufer nicht wahrnimmt, welche Informationen es im Internet gibt. Berater tun gut daran, sich darüber zu informieren, was Verbrauchern von anderen Stellen empfohlen wird. Darauf muss man vorbereitet sein.