"Goldpreis könnte bis auf 3.000 Dollar steigen"
procontra: Der Indexanbieter Stoxx hat den Anteil, den Unternehmen im Dax, MDax, SDax und TecDax habendürfen, von jeweils 10 Prozent auf 15 Prozent erhöht. Wie bewerten Sie die Entscheidung?
Kaffarnik: Wir bekommen eine stärkere Fokussierung in den Indizes, weil diejenigen Werte, die bereits ein hohes Gewicht haben, noch einmal ein höheres Gewicht bekommen können. Beim Dax ist die Anhebung vermutlich auch darin begründet, SAP ein höheres Gewicht zu verschaffen. Das Unternehmen geht derzeit in Richtung 14 Prozent Anteil. Infineon gibt es zwar auch im Technologie-Bereich. Im Wesentlichen ist aber SAP die deutsche Technologie-Aktie. Die Konzentration wird damit größer, was unter Risikogesichtspunkten negativ ist. Hinsichtlich der Index-Performance kann sich die Anhebung andererseits positiv auswirken. Die Entscheidung dürfte ein stückweit auch der Börsenentwicklung in den vergangenen Monaten geschuldet sein, was ich gut nachvollziehen kann. Die Werte, die in dieser Zeit die Börse angetrieben haben, waren nicht allein in den USA auf einige Schwergewichte konzentriert, sondern zum Teil auch bei uns. Gerade die Unternehmen, die bereits ein hohes Gewicht hatten, haben besonders gut performt.
procontra: In den USA sind dies zum Beispiel die vielzitierten „Magnificent 7“.
Kaffarnik: In Deutschland ist SAP das Paradebeispiel. Siemens wäre hier auch zu nennen, Airbus zählt ebenfalls dazu. Es ist allerdings unklar, wie sich die Performance weiter entwickelt, ob sie das Risiko ausgleichen kann oder nicht. Wie sich die Umstellung insgesamt auswirkt, kann man daher noch nicht sagen. Es hängt davon ab, wie stark die dann noch höher gewichteten Werte performen oder nicht performen.
procontra: Als Anleger würden Sie derzeit mindestens 50 Prozent in Anleihen investieren, etwas weniger in Aktien, 5 bis 10 Prozent in Gold und etwas Kasse halten, um bei Rücksetzern zukaufen zu können. Was sind die Gründe für diese Einschätzung, die Sie kürzlich äußerten?
Kaffarnik: Zum Ende 2022 und weit in den Herbst 2023 hinein ist der Zins am langen Ende gestiegen, also die Zinsen für langlaufende Wertpapiere. Ich rede jetzt nicht von den Zinsanhebungen der Zentralbanken in dieser Zeit – dem Zins am kurzen Ende. Durch den starken Renditeanstieg haben wir im Vergleich zur Niedrig- und Negativ-Zinsphase wieder ein akzeptables Zinsniveau erreicht, auch unter realen Gesichtspunkten, also nach Abzug der aktuellen Inflationsrate. Das sehen wir in der Eurozone, ebenso in den USA. Dazu kommt, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen weiter rückläufig sind. Sie liegen in den USA und in der Eurozone mehr oder minder deutlich unter der aktuellen Inflationsrate. Der Zins ist also zurück und für ein Portfolio wieder attraktiv.
Mit der verbesserten Lage haben sich auch die Möglichkeiten für steigende Unternehmensgewinne erhöht. In Europa rechnet man mit einem Gewinnzuwachs von sechs, sieben Prozent.Ulrich Kaffarnik
procontra: Wie wirkt sich das in einem Mischportfolio konkret aus? Ist der Zins als stabilisierender Faktor wieder zurück?
Kaffarnik: Man kann sagen, dass das Risiko von Renten, was die Schwankungsbreite anbelangt, ungefähr einem Drittel von dem von Aktien entspricht. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass man mit dem real positiven Zins wieder einen höheren Anteil festverzinslicher Wertpapiere im Portfolio als Stabilitätsfaktor haben sollte. Beim Aktienmarkt sehen wir, dass sich die konjunkturelle Lage stabilisiert hat. Das Risiko einer Weltrezession 2024 zum jetzigen Stand, sofern es keine größeren Störungen gibt, sehe ich bei null. Mit der verbesserten Lage haben sich auch die Möglichkeiten für steigende Unternehmensgewinne erhöht. In Europa rechnet man mit einem Gewinnzuwachs von sechs, sieben Prozent. In den USA könnten es eher zehn Prozent werden und in China noch etwas darüber, da dort die Ausgangsbasis niedriger ist. Insofern würde ich den Aktienbereich in einem Portfolio im Verhältnis zu Renten derzeit nur leicht untergewichten.
procontra: Einen gewissen Anteil in Gold zu halten, zählt ebenfalls zu den klassischen Empfehlungen bei der Kapitalanlage. Was ist Ihre aktuelle Überlegung?
Kaffarnik: Gold ist generell eine Art Absicherung gegen die Unwägbarkeiten der Weltereignisse. Es sollte tendenziell vom Zinssenkungszyklus in den USA profitieren, wann auch immer er beginnt. Ich glaube, dass er in diesem Jahr kommt. Im Zuge dessen könnte zudem der US-Dollar etwas nachgeben. Beide Faktoren sind positiv für Gold. Die Inflation ist es interessanterweise nicht. Wenn Inflationszahlen etwas höher ausfallen als erwartet, springt Gold nicht unbedingt an. Manchmal gibt es Phasen, in denen dies passiert, manchmal aber nicht. Gold kann in einem Portfolio natürlich nicht alles ausgleichen, falls es negative Ereignisse gibt und die Aktienmärkte unter Druck geraten. Aber es sorgt für ein gutes Gewissen, wenn dann ein gewisser Teil stabil bleibt.
procontra: Wie ist Ihre Einschätzung zur Entwicklung des Goldpreises? Mittelfristig könnte er 3.000 Dollar erreichen, meinten Sie ebenfalls vor kurzem. Ist die Überlegung noch aktuell?
Kaffarnik: Daran hat sich nichts geändert. Einige Fundamentals habe ich eben beschrieben. Gold hatte lange ein charttechnisches Problem. Rund vier Jahre hat der Goldpreis versucht, über die Marke von gerundet 2.070 Dollar zu kommen. Das war eine charttechnische Hürde par excellence! Das hat jeder im Markt gesehen, der sich mit Asset Allokation beschäftigt. Nun sind wir über diese Marke gekommen, was ich als Kaufsignal bezeichnen würde. Charttechnisch gesehen hört ein Wert nach einer Hürde, die so lange bestanden hat und dann überwunden ist, normalerweise nicht bei einem kleinen Zuwachs auf. Daher würde ich einen Anstieg auf 2.300, 2.400, 2.500 und warum nicht auch auf 3.000 Dollar schätzen. Die Überwindung der Hürde könnte schnell zusätzliche Nachfrage nachziehen und den Goldpreis in neuen Höhen etablieren. Es gibt auch strategische Unterstützung von den Zentralbanken als Goldkäufer. Aus den Emerging Markets könnte die Nachfrage ebenfalls wieder steigen, insbesondere aus China und Indien.
procontra: Der neu gewählte Präsident Argentiniens, Javier Milei, will Land und Wirtschaft sehr konsequent in Richtung mehr Markt und weniger Staat umbauen, um der tiefen Wirtschaftskrise entgegenzusteuern. Hierzu plant er auch, die Landeswährung Peso mit dem US-Dollar zu ersetzen. Wie ist Ihre Einschätzung zu Mileis Umbaumaßnahmen und Vorhaben?
Kaffarnik: Was die Reformfähigkeit und die Umsetzungsmöglichkeit der Maßnahmen anbelangt, habe ich große Zweifel. In Argentinien herrscht seit vielen Jahren eine Politik des Muddeling Through, des sich Durchwurstelns im Quadrat. Vorvorgänger Mauricio Macri hatte ebenfalls versucht, mehr Markt und weniger Staat durchzusetzen und ist an der Situation gescheitert. Sie haben dann immer den Kampf mit den alten Eliten, die ihre Vorteile halten wollen, den Gewerkschaftern, der Judikative, die zum Teil extrem politisiert ist. Der Anspruch, etwas zu verbessern, ist zwar da. Aber ich glaube nicht, dass es funktionieren wird.
Es gibt zu viele widerstreitende Bestrebungen verschiedener gesellschaftlichen Gruppen und der Anpassungsprozess ist extrem schmerzhaft. Alles, was nun kommt, dürfte daher sehr verwässert werden. Es könnte schnell zu Unruhen kommen, weil die Menschen nicht bereit sind, die Anpassungslasten zu tragen, die eben nicht nur drei Monate dauern, sondern vielleicht vier Jahre. Gerade nach der Erfahrung unter Macri wäre ich sehr verwundert, wenn es diesmal anders kommen würde.
procontra: Argentinien ist ein großes Land und Mitglied der G20-Staaten. Welche Auswirkungen sehen Sie von Mileis Politik auf das Segment der Schwellenländer?
Kaffarnik: Argentinien ist zwar flächenmäßig groß, aber eigentlich bedeutungslos in den Emerging Markets. Für uns gilt: Emerging Markets ja, aber selektiv. Es gibt unter den Schwellenländern sehr große Unterschiede auf der Aktien- wie auf der Rentenseite. Für uns ist dort auf der Bondseite derzeit vor allem Mexiko und Brasilien interessant, aber auch Kolumbien, wobei wir uns auf Staatsanleihen in Lokalwährung konzentrieren.
procontra: Was möchten Sie zum Thema Kapitalanlage im aktuellen Umfeld noch etwas ergänzen, falls überhaupt?
Kaffarnik: Das hätte ich vor einem Jahr vermutlich auch schon angesprochen: den Bereich der Mischfonds. Es kann eigentlich nicht sein – aber es ist so –, dass Sie in den Jahren, in denen die Zinsen wieder attraktiver geworden sind, Rückgaben aus Mischfonds haben. Denn die Fonds sind mit dem Zinsanstieg wieder sehr attraktiv. Daher glaube ich, dass Mischfonds jetzt eine viel größere Bedeutung haben, als vor zweieinhalb oder drei Jahren. Die Kursverluste, die es gab, 2022 heftig und 2023 abgefedert, sind ja nichts anderes als eine verbesserte Ausgangsbasis bei Anleihen. Zudem ist jetzt noch Gelegenheit, höhere Zinsen einzuloggen, nicht nur auf ein Jahr gesehen, sondern auch auf fünf Jahre und länger. Es wäre daher eine falsche Entscheidung, Mischfonds zu verkaufen. Anleger sollten dabeibleiben oder investieren, gerade unter verbesserten Chance-Risiko-Gesichtspunkten bei Renten.
procontra: Wobei sehr nachvollziehbar ist, dass die Anleger in den vergangenen ein, anderthalb Jahren große Sorge hatten wegen der tendenziell nicht sehr berauschenden Wertentwicklung.
Kaffarnik: Es ist sicher ein Problem, dass oft kurzfristige Performance gekauft und verkauft wird. Da wäre es wichtig für einen Berater, gegenzusteuern und generell nach vorne zu beraten, nicht aus einer Rückspiegelperspektive heraus. Er sollte einem Kunden, der in einen Mischfonds investiert hat, zum Beispiel erläutern: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entwicklung noch einmal so negativ wird wie in den vergangenen zwei Jahren, wird mit jedem Zinsanstieg, mit jedem höheren Renditepunkt, geringer. Er sollte die aktuellen Möglichkeiten von Mischfonds aufzeigen vor dem Hintergrund, dass wir heute ein ganz anderes Zinsniveau haben als 2021. Um Punkte wie diese klarzumachen, halte ich qualitative Beratung für entscheidend.