Was sich Versicherer von der elektronischen Patientenakte versprechen
Bereits 2003 hatte die damalige Gesundheitsminister Ulla Schmidt das Projekt auf den Weg gebracht, im kommenden Jahr soll es nun aber endlich soweit sein: Alle gesetzlich Krankenversicherten sollen ab dem 15. Januar 2025 die elektronische Patientenakte bekommen – es sei denn, sie sprechen sich aktiv dagegen aus.
Das Ziel: Patienten sollen einen digitalen Überblick über ihre wichtigen Gesundheitsdaten haben. Doppelbehandlungen können auf diese Wiese vermieden werden. Auch ungewollte Wechselwirkungen bei der Einnahme von Medikamenten sollen dank elektronischer Patientenakte künftig der Vergangenheit angehören – schließlich können Arzt und Apotheker Einblick in den Medikationsplan des Patienten erhalten und mögliche Probleme rechtzeitig erkennen.
Erste Krankenversicherer gehen voran
Ende gut, alles gut. Oder? Durch das im kommenden Jahr greifende Opt-out-Verfahren dürfte die Zahl der Nutzer auf der einen Seite deutlich steigen. Seit Januar 2021 können sich Versicherte bereits von sich aus die ePA zulegen. Getan haben das die wenigsten: Gerade einmal ein Prozent aller gesetzlichen Krankenversicherten hat von dieser Option bislang Gebrauch gemacht – auch weil Arztpraxen bislang technisch nicht in der Lage waren, diese zu befüllen, also Befunde, Röntgenbilder oder Arztberichte auf dieser zu speichern.
Damit die ePA auch ein Erfolg wird, müssen nicht nur die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. So gibt es deutschlandweit beispielsweise über 120 verschiedene Hersteller von Arztpraxis-Software, diverse Anbieter von Krankenhaus- und Apotheken-Informationssystemen und über 90 Krankenkassen, die an das neu entwickelte System angebunden werden müssen.
Gleichzeitig gilt es auch die Patienten mitzunehmen. Diese müssen nicht nur auf einen Widerspruch verzichten, sondern auch möglichst vielen Einrichtungen Einblick in ihre Daten gewähren, um die versprochenen Effizienzgewinne zu erzielen.
Noch viele Zweifel
Vielfach herrschen aber noch Zweifel – auch unter den privaten Krankenversicherern, die ihren Kunden ebenfalls eine ePA anbieten können. Einige Versicherer wollen noch auf einen ausgereiften Kundennutzen warten, andere sind mit einer eigenen Patientenakte längst am Markt. „Wir wollen Gesundheitspartner unserer Kunden sein“, erklärt Alexandra Markovic-Sobau, Leiterin des Gesamtvertriebs bei der Halleschen. Diesen Anspruch gelte es für den Kunden auch erlebbar zu machen. „Die elektronische Patientenakte bietet uns die Möglichkeit, perspektivisch zum digitalen Assistenten unserer Kunden zu werden.“ Denkbar sei beispielsweise, dass die Patienten künftig an anstehende Behandlungen oder die rechtzeitige Einnahme von Medikamenten erinnert werden. „Das ist derzeit noch Zukunftsmusik“, schränkt Markovic-Sobau ein. Die technischen Möglichkeiten der ePA sind zunächst auf die essenzielle Funktion des Datenaustauschs beschränkt – so können zu Beginn nur Daten via PDF gespeichert werden - sollen aber Schritt für Schritt ausgebaut werden.
Einführungszeitpunkt noch nicht bei allen klar
Für die anderen Krankenversicherer bleibt demzufolge noch Zeit, ein eigenes Angebot auf den Weg zu bringen. „Wir sind in den Vorbereitungen“, sagt Bernhard Brühl, CEO der Ottonova Krankenversicherung knapp. Grundsätzlich begrüße man alles, was das Gesundheitswesen digitaler mache. „Von Kundenseite haben wir bislang allerdings nur wenig Nachfragen zu dem Thema bekommen“, so Brühl.
Auch bei der SDK arbeitet man an der Einführung. Einen genauen Einführungszeitpunkt will auch der süddeutsche Krankenversicherer nicht nennt, man sei noch in den Abstimmungen mit den technischen Kooperationspartnern. „Als eher kleinerer Versicherer und VVaG agieren wir hier bewusst nicht als ,First Mover‘, da wir unsere Budgets im Sinne unserer Mitglieder so effizient wie möglich einsetzen wollen“, teilt der Versicherer jedoch auf Nachfrage mit. Wie hoch die Kosten für die Entwickling sind, will die SDK nicht mitteilen. Nur soviel: „Allerdings können wir unterstreichen, dass die Aufwände, insb. auch in Bezug auf personelle Kapazitäten durchaus erheblich sind.“
Junge Menschen werden aufspringen
Bei der Halleschen ist man in dieser Hinsicht bereits ein paar Schritt weiter. Rund 80 Prozent der Vollversicherten haben ihre Krankenversichertennummer (KVNR) bislang beantragt – diese ist Voraussetzung dafür, Telematik-Anwendungen wie die ePA oder das elektronische Rezept nutzen zu können. Diese Zahl will Markovic-Sobau aber nicht überbewertet wissen. „Was nutzt uns die digitale Patientenakte, wenn der Kunde sie nicht nutzt.“
Doch vor allem bei den jüngeren Menschen, die sich derzeit neu versichern, werde die Digitalisierung immer wichtiger, ist Markovic-Sobau überzeugt. „Ich glaube, dass digitale Angebote hier zu einem Hygienefaktor werden.“ Hier sieht die Vertriebsleiterin ihren Arbeitgeber bereits gut aufgestellt. Im Januar 2020 hatte der Versicherer seine App „Hallesche4u“ auf den Markt gebracht, in der verschiedene digitale Gesundheitsservices angeboten werden. Bisher wird die ePA noch über eine separate App angeboten, künftig soll sie ebenfalls in „Hallesche4u“ integriert werden. Das Angebot wird angenommen: Über 260.000 Nutzer haben sich seit dem Start für die App registriert, monatlich nutzen über 90.000 Anwender die App.
Folgen für die BU-Versicherung
Doch auch abseits der Krankenversicherung kann die ePA Folgen für die Versicherungskunden haben. Beispiel Berufsunfähigkeitsversicherungen. Der Abschluss einer solchen erfordert die Offenlegung der jüngsten medizinische Vergangenheit, sprich aller relevanten Vorerkrankungen und Diagnosen. Die wenigsten dürften die vergangenen zehn Jahre lückenlos rekapitulieren können. Zumal auch Falschabrechnungen immer wieder vorkommen. „Bisher hat der Patient von diversen fantasievollen Abrechnungen nicht wirklich etwas mitbekommen, jetzt sieht er die abgerechneten Diagnosen mit wenigen Klicks auf seinem Smartphone“, bemerkt Makler Tobias Bierl. Allerdings muss er nun – durch die neuen Erkenntnisse – die falschen Abrechnungen sauber aufbereiten. „Hätte er den Auszug aus der Krankenkassenkarte nicht angefordert, müsste dies auch nicht glatt gestellt werden“, so Bierl.
Insgesamt sieht Bierl durch die ePA sowohl Vor- als auch Nachteile bezüglich der Beratung zur BU-Versicherung, „langfristig werden die Vorteile aber überwiegen“. Und wer weiß: „Vielleicht treibt die Thematik Falschberatung dann weniger Blüten.“