Das riskante Geschäft mit den Einmalbeiträgen
Das ist ein krasser Widerspruch: Der sogenannte Garantiezins in der Lebensversicherung steuert stramm auf null zu. Als Vertriebsargument fällt er damit nahezu aus. Gleichzeitig boomt das Geschäft mit Lebensversicherungen. Eine verrückte Welt der Assekuranz ist das – auf jeden Fall erklärungsbedürftig. Zunächst zur Entwicklung des Garantiezinses, der fachlich korrekt Höchstrechnungszins heißt.
Ministerium folgt Aktuaren nicht
Alles deutet darauf hin, dass das Bundesfinanzministerium den Höchstrechnungszins auf weniger als 0,5 Prozent senken wird. Die Entscheidung stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Sie dürfte im April erfolgen. Das wäre ein neuer Tiefpunkt. In der Regel folgt Berlin dem Rat der Deutschen Aktuarvereinigung, die sich am 10. Dezember 2019 für eine Absenkung zum 1. Januar 2021 von 0,9 Prozent auf 0,5 Prozent aussprach. Vorausgegangen war ein erneutes Abrutschen des Zinsniveaus an den Kapitalmärkten. Das Ministerium weicht nur ganz selten von dem Vorschlag der Versicherungsmathematiker ab. Jetzt wird es wohl wieder eine Ausnahme von der Regel geben, denn das Zinsniveau ist im ersten Quartal 2020 nochmals gefallen.
Deutliche Hinweise auf eine Reduzierung des Höchstrechnungszinses über 0,5 Prozent hinaus gab es bereits auf der Jahrespressekonferenz der Ratingagentur Assekurata am 13. Februar in Köln. Dort äußerten Analysten die Erwartung, dass einige Versicherer einen Satz von 0,5 Prozent gerne unterschreiten würden. Offenbar steht so manchem Anbieter das Wasser bis zum Hals. Weitere Recherchen in der Branche ergaben, dass die Höhe des Garantiezinses im ersten Quartal 2020 unter Versicherern heftig diskutiert wurde. Manche Unternehmen würden in Eigenregie bis auf einen Satz von 0,3 Prozent runter gehen, andere hätten gerne 0,7 Prozent, hieß es.
Wettbewerb nicht erwünscht
Bekanntlich stellt der Höchstrechnungszins die Obergrenze für die jährlichen Garantiezusagen der Versicherer dar. Sätze darunter darf jeder Anbieter selbst wählen. Nur weil in der Vergangenheit alle Unternehmen den Spielraum nach oben voll ausgeschöpft haben, wurde der Höchstrechnungszins zum branchenweiten Garantiezins. Zumindest um die Höhe dieses Versprechens sollte es unter den Anbietern keinen Wettbewerb geben. Vermutlich um einen einheitlichen Satz zu retten, wird Berlin jetzt wohl die Messlatte auf unter 0,5 Prozent senken. Seit dem 1. Januar 2017 liegt der Höchstrechnungszins bei 0,9 Prozent. Vor zwanzig Jahren betrug er 4 Prozent.
Völlig verrückt erscheint vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick der aktuelle Boom bei Lebensversicherungen. Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) verzeichneten Lebensversicherer 2019 ein Beitragsplus von 11,3 Prozent auf 102,5 Milliarden Euro. Der Sprung kam ausschließlich aus dem Geschäft mit Policen gegen Einmalbeitrag. Es explodierte förmlich um 37,1 Prozent auf 38,2 Milliarden Euro. Das Geschäft gegen laufenden Beitrag stagnierte bei 64,3 Milliarden Euro. GDV-Präsident Wolfgang Weiler wertete die Beitragsentwicklung als „klaren Vertrauensbeweis für unsere Branche“.
Strafzinsen als Treiber
Unabhängige Beobachter freilich sprechen von einer „Flucht in Sicherheit“. Denn an den Kapitalmärkten ist das Zinsniveau in vielen Ländern tief in den negativen Bereich gerutscht. Banken, die Geld bei der Zentralbank parken, müssen dafür bezahlen. Diesen „Strafzins“ geben viele Kreditinstitute an ihre Kunden weiter. So kommt es, dass Sparer auf ihren Bankguthaben eine Gebühr bezahlen müssen. Und plötzlich erscheint die Lebensversicherung, die ja immer noch einen positiven Zins verspricht, als Ausweg aus dem Dilemma. Klassische Lebensversicherungen garantieren sogar 0,9 Prozent. Geld zu bekommen ist Kunden halt lieber als Geld zu bezahlen.
Ein Teil des Wachstums der Einmalbeiträge ist technisch bedingt. Denn auch Verträge mit flexiblen Beitragszahlungen werden immer häufiger abgeschlossen – zum Beispiel mit der Option, ein 13. Monatsgehalt zusätzlich zum laufenden Beitrag einzuzahlen. Das würde dann bilanziell als Einmalbeitragsgeschäft verbucht. Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata, konnte den Effekt auf Anfrage aber nicht beziffern. Und ein Sprecher der Allianz sagte zwar, dass der Versicherer bei den Einmalbeiträgen „stark gewachsen“ ist. Zahlen wollte er aber nicht nennen. Seine Begründung: „Die Unterscheidung zwischen Einmalbeiträge und laufende Beiträge verliert zunehmend an Bedeutung, da die Aussagekraft eingeschränkt ist. Daher stellen wir diese Unterscheidung in der Analyse nicht mehr dar.“
Gefahr fürs Kollektiv
Tatsache ist aber auch, dass ein starkes Wachstum im Einmalbeitragsgeschäft auch zu Lasten des Versichertenkollektivs gehen kann. Denn die neu reinkommenden Beiträge der Kunden müssen am Kapitalmarkt angelegt werden – oft zu einem extrem niedrigen Zinssatz. Das könnte letztlich die Rendite der langjährigen Kunden verwässern. Das wäre der Fall, „wenn die Einmalbeiträge auf breiter Linie tatsächlich mit überhöhten Zinsversprechen eingekauft würden“, erklärt Heermann gegenüber procontra.
Für manche Versicherern scheint das Thema heikel zu sein. So teilte ein Sprecher der Gothaer auf Nachfrage zum Einmalbeitragsgeschäft nur mit: „Wir möchten die Geschäftsentwicklung nicht kommentieren“. Medien zufolge hat die Gothaer 2019 ihr Einmalbeitragsgeschäft um 30 Prozent gesteigert. Und ein Sprecher von Provinzial Nordwest – laut Zeitungsbericht plus 22 Prozent Wachstum im Einmalbeitragsgeschäft – betonte: „In der jährlichen Deklaration der Überschussbeteiligung stellt die Provinzial Nordwest sicher, dass die Verzinsung der Guthaben in den Einmalbeitragsprodukten nicht zu Lasten des übrigen Versicherungskollektivs gewährt wird. Insbesondere erhalten deshalb die Einmalbeitragsprodukte eine niedrigere laufende Verzinsung als das Normalgeschäft.“
Flexible Produkte im Trend
Auch für Makler ist die Berücksichtigung solcher Zusammenhänge relevant. Viele ihrer Kunden wünschen im Dauerzinstief die einmalige Anlage eines Geldbetrags in eine Rentenversicherung. Die Produktauswahl ist groß und reicht von klassischen Produkten über fondsgebunde Rentenversicherungen mit Garantiekomponente bis hin zu Fondspolicen ohne Garantie.
Generell geht der Trend hin zu immer flexibleren Produkten sowie hin zu Produkten, die das Anlagerisiko auf den Kunden abwälzen. Dabei müssen die Risiken nicht zwangsläufig aus der Aktienanlage resultieren. Ein Beispiel ist die neue Private Finance Police der Allianz. Dabei handelt es sich um eine Rentenversicherung mit Kapitaloption gegen Einmalbeitrag, durch die Kunde einen „gezielten Zugang zu den Renditechancen der alternativen Anlagen des Sicherungsvermögens der Allianz Lebensversicherung erhalten“, sagt ein Sprecher des Anbieters. Zielanlagen sind zum Beispiel Gewerbeimmobilien, Autobahnen, Schienennetze und Windräder. Abschlüsse sind ab 25.000 Euro möglich. Die Mindestlaufzeit beträgt 12 Jahre. Es gibt kein garantiertes Mindestkapital. Das Produkt ist seit Oktober 2019 am Markt verfügbar. In nur wenigen Wochen hat Allianz mehr als 1.000 Verträge der neuen Rentenversicherung gegen Einmalbeitrag verkauft.
Fazit: Wenn der Garantiezins stramm in Richtung null absackt und Kunden gleichzeitig händeringend neue Anlage- und Vorsorgelösungen suchen, werden die Versicherer reagieren. 2020 und 2021 dürfte sich die Produktwelt stark verändern. Die derzeit krassen Entwicklungen in der Assekuranz weisen auf die Umwälzungen hin.