ChatGPT vs. Makler – wer berät besser?
Seit Anfang des Jahres sorgt ChatGPT für Furore. Die Künstliche Intelligenz (KI) fasziniert durch das, was sie schon jetzt kann: Sie verfasst Reden, schreibt Essays, plant Fernreisen, erstellt Einkaufslisten für vegane Grillpartys, macht die Hausaufgaben, schlägt neuerdings Kochrezepte anhand von Bildern von Zutaten vor und verfasst aktuell für einen Wissenschaftsverlag ein Fachbuch. Und jetzt hat auch noch Google seinen Chatbot Bard geöffnet.
Keine Frage, da kommen große Umwälzungen auf die Wirtschaft zu. „Der Einsatz von KI wird in den kommenden Jahren vor keiner Branche halt machen“, sagt Gustav Spät, Referent Digital Insurance und InsurTech beim Digitalverband Bitkom. „Gerade in der Versicherungsbranche gibt es mit Blick auf den direkten Kontakt zu Kundinnen und Kunden vielfältige Einsatzmöglichkeiten.“ Bereits heute ist KI weit verbreitet. Laut einer jetzt veröffentlichten Studie des Center for Financial Studies setzen 31 Prozent der Finanzunternehmen KI ein; weitere 40 Prozent haben ein Pilotprojekt.
KI mit Fachwissen ausstatten
Markus Heyen, Leiter Versicherungen Deutschland bei Accenture, weist darauf hin, dass Versicherer in Zukunft „speziell auf ihre Bedürfnisse und mit ihren Daten gekapselte unternehmenseigene KI-Modelle nutzen werden“. Das ist für die Ergebnisse von zentraler Bedeutung. Das Modell lernt damit Fachwissen aus einem definierten Pool, gespickt mit riesigen Mengen an Versicherungsdaten. Die ersten Versicherer testen große KI-Sprachmodelle. Wolfgang Hauner, Head of Group Data Analytics bei der Allianz, verrät gegenüber procontra, dass die Allianz einen auf ChatGPT-basierenden Prototypen eines intelligenten Voicebots, „der Fragen zu Produkten beantwortet soll“, erprobt.
procontra testet ChatGPT in der Beratung
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Künstliche Intelligenz die Beratung selbstverständlich begleiten wird. Schon heute nutzen Privatkunden ChatGPT - mindestens, um sich vor einer klassischen Beratung zu informieren. Doch welche Empfehlungen bekommen sie? Sind sie vielleicht objektiver? Lassen sich Berater aus Fleisch und Blut bereits ersetzen? procontra machte den Test und ließ die KI-Empfehlungen von erfahrenen Experten einordnen.
Private Krankenversicherung
Anja Glorius, Maklerin und Geschäftsführerin von kvoptimal.de nahm die Beratung zur privaten Krankenversicherung unter die Lupe. Ausgangslage war eine „typische Kundensituation“, wie Glorius sagt, nämlich erhöhte PKV-Prämien und der Wunsch diese langfristig zu reduzieren. Glorius kritisiert unter anderen die von ChatGPT empfohlene Leistungskürzung, um die Prämie zu drücken. „Nur weil Leistungen noch nicht genutzt werden, können sie dennoch eine hohe Relevanz haben.“ Ebenso entdeckte sie fachliche Fehler bei der Thematik „interner Tarifwechsel“ und der Behandlung von Altersrückstellungen.
Nutzten Versicherte Leistungen bislang noch nicht, haben diese dennoch eine hohe Relevanz. Das Ergebnis zielt hier nur auf Leistungskürzung ab. Fatal aus unserer Sicht.Anja Glorius, Geschäftsführerin von kvoptimal.de
Auszug aus Beratungstest
ChatGPT vs Makler Teil 1: Private Krankenversicherung
Arbeitskraftabsicherung
Im zweiten Test beurteilte Tobias Bierl, Versicherungsmakler und Mitinhaber der Finanzberatung Bierl, die Empfehlungen zum Bedürfnis, die Arbeitskraft absichern zu wollen. Bereits in der Auflistung zahlreicher Möglichkeiten – unter anderen Unfallversicherung, private Rentenversicherung und betriebliche Altersvorsorge – entdeckte Bierl Mängel. „Die Arbeitskraft kann durch maximal drei Produkte abgesichert werden. Langfristig durch eine Berufs- wie Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Kurzfristig kann die Lücke der Arbeitskraft aufgrund einer Krankheit durch eine Krankentagegeldversicherung abgesichert werden. Eine Unfallversicherung leistet bei einer dauerhaften Invalidität und hat mit der eigenen Arbeitskraft wenig zu tun.“ Dennoch gab es auch Ratschläge, zum Beispiel bei der Behandlung von Gesundheitsfragen, mit denen der Experte einverstanden war.
ChatGPT hat es gut erkannt, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung die einzige Versicherung ist, falls man seinen Beruf nicht mehr ausüben kann.Tobias Bierl, Finanzberatung Bierl
Auszug aus Beratungstest
ChatGPT vs Makler Teil 2: Arbeitskraftabsicherung
Altersvorsorge
Einem ebenfalls eher komplexeren Beratungsanlass widmete sich Sascha Rabe, Vermögensberater bei der DVAG. Er begleitete die Beratung zur Altersvorsorge. Die Herausforderung, den Lebensstandard abzusichern, beschäftigt viele Menschen. Rabe entdeckte sowohl Empfehlungen der KI, die er als Experte ebenfalls so getätigt hätte. Als auch missverständliche bis fachlich falsche Punkte, die einen Kunden ohne (ausreichende) Absicherung zurücklassen würden.
Der Text von ChatGPT ist irreführend. Die Vorteile der Investition in Aktien sind richtig, beziehen sich allerdings nicht auf das Langlebigkeitsrisiko.Sascha Rabe, DVAG
Auszug aus Beratungstest
ChatGPT vs Makler Teil 3: Altersvorsorge
Von „fatal“ bis „passend“
Punktuell ist ChatGPT also sehr gut in der Lage, professionelle Ratschläge zu erteilen. Das ist in Anbetracht des jungen Alters beeindruckend. Die Entwicklung verläuft rasend schnell. ChatGPT & Co. werden zeitnah in der Lage sein, digitale Informationen zu komplexen Sachverhalten noch besser zu verarbeiten.
Insgesamt bleibt die KI aber noch zu sehr an der Oberfläche und einige Empfehlungen wirken eher wie ein Rundumschlag als eine konkrete Hilfestellung. Beratungsfehler, wie sie die Experten entlarvten, können fatale und irreparable Folgen für den Hilfesuchenden haben und existenzielle Risiken ungesichert hinterlassen. Haftet dann auch die KI? Sicher nicht!
Keine Entwarnung für Makler
Für Makler sind die eher schwachen Ergebnisse im Beratungstest keine Entwarnung. Die technologische Entwicklung rast und schon bald könnten sich Kunden mit Vorsorge- oder Absicherungswünschen lieber an eine Maschine als an einen Menschen wenden – einfach, weil‘s schneller und vielleicht auch günstiger ist.
Auch Versicherungsexperte Heyen von Accenture betont, dass die Entwicklung erst am Anfang steht, aber exponentiell verläuft. Heißt: Was heute noch unvorstellbar ist, kann bald schon eine Selbstverständlichkeit sein.
Neben der ungelösten technischen Herausforderung ergeben sich weitere Fragen bei der Beratung durch einen Chatbot. Heyen nennt die Stichworte Datenschutz und Compliance. Auch Robert Schnoeckel, Zukunftsforscher neue Technologien bei den Versicherungsforen Leipzig gibt zu bedenken, „dass auch der Betreiber einer Beratungs-KI für die Erfüllung der nötigen regulatorischen Anforderungen verantwortlich wäre.“ Paradox: Ausgerechnet die bei vielen Versicherungsvermittlern unbeliebte Regulierung wird zumindest für eine gewisse Zeit zum Schutzwall vor der digitalen Konkurrenz.
Beratung von Versicherungsprodukten möglich
Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Auch deshalb sagt Justus Lücke, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig sowie der Maklerforen Leipzig: „Mit entsprechendem Training des KI-Modells ist auch die Beratung zu Versicherungsprodukten möglich.“ Die Vorteile lägen in der durchgehenden Erreichbarkeit und der unmittelbaren Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Über die Zeit lerne KI die Kunden besser kennen. Dieses Wissen könnte der Vertrieb für personalisierte Ansprachen nutzen. Er rät Maklern, sich „intensiv mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen.“
Die persönliche Beratung bleibt immer noch ein Pfund, gegen das KI (noch) nicht ankommt. Anbieter, Vertriebe und letztlich der Kunde werden sie jedoch immer stärker in ihre Prozesse und Suchanfragen einbeziehen. Makler, die diese Entwicklung ernst nehmen und für sich nutzen, sind nicht nur im Wettbewerbsvorteil, sondern auch als Ansprechpartner für Kunden weiter unverzichtbar.