Wirtschaftswissenschaftler üben scharfe Kritik an EU-Kleinanlegerstudie
Das gängigste Argument gegen ein Provisionsverbot lautet: Kleine Anleger könnten sich eine Beratung dann nicht mehr leisten. „Ein Provisionsverbot würde dem Kleinanleger schaden und nicht nutzen“, warnt auch Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (Ifa). Er ist Mitautor der aktuellen Studie „Provisionsverbot und Kleinanlegerstrategie“, die im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater erstellt wurde.
Die Studienautoren kritisieren die sogenannte EU-Kleinanlegerstudie, auf deren Ergebnissen für ein Verbot der provisionsbasierten Vergütung argumentiert wird. Demnach kranke die Studie unter anderem daran, dass sich der darin enthaltene Kostenvergleich von Provisions- und Honorarberatung lediglich auf Fonds beziehe, nicht aber auf Versicherungsprodukte. Dass der Verkauf von Fonds mit provisionsbasierter Beratung teurer ist als solcher ohne, sei „banal“ und werde von Provisionsgegnern fälschlicherweise auf den Versicherungsbereich übertragen.
Daneben sei es mitnichten so, dass die Gebühren bei einer Honorarberatung transparenter seien. Auch könne die Bandbreite von eher günstigen bis zu teilweise sehr hochpreisigen Modellen sehr groß sein. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass in dem EU-Papier nicht zwischen den drei Formen der Honorarberatung differenziert werde (Honorar nach Zeitaufwand, pauschal oder pro Jahr nach Vertragsvolumen). Darüber hinaus würden Argumente, die gegen das Verbot sprechen, nicht miteinbezogen. Zu besagten Gegenargumenten gehört der Ausschluss finanzschwächerer Verbraucher von der Beratung.
Modell: Je nach Bedarf sinnvoll
Um dieser Aussage mehr Gewicht zu verleihen, haben die Wissenschaftler anhand typischer Beispiele verschiedener Vergütungsmodelle quantitative Analysen durchgeführt und die jeweilige Beitragshöhe berechnet. Demnach sei das provisionsbasierte Modell für Verbraucher, die regelmäßig eher kleine Summen sparen, kostengünstiger als die Honorarberatung: Ein Verbraucher, der monatlich unter 100 Euro spart, schneide mit der Provision stets günstiger ab. Bei einer Vertragslaufzeit von 20 beziehungsweise 30 Jahren, wie sie bei Altersvorsorgeprodukten üblich ist, sei das Provisionsmodell sogar bis zu einem monatlichen Beitrag von 186 Euro beziehungsweise 129 Euro günstiger. „Gerade für Kleinanleger, die im Rahmen der Kleinanlegerstrategie besser geschützt werden sollen, ist die Provision meistens das günstigere Modell, wenn es um langfristige Sparvorgänge, Kosten und Rendite geht“, so Ruß.
Grundsätzlich sei – je nach Anlagehorizont und Höhe der Einzahlung – eine provisionsbasierte oder eben eine Honorarberatung kostengünstiger. Vergleicht man das dritte Honorarmodell, das meist bei Anlage größerer Beträge zum Einsatz kommt, mit dem Provisionsmodell, so sei das Provisionsmodell bei längeren Laufzeiten, das Honorarmodell hingegen bei kurzen Laufzeiten günstiger. Aus diesem Grund plädieren die Ifa-Autoren für den Status quo, also die Koexistenz beider Modelle.
Auch das Argument des Interessenkonflikts, den die provisionsbasierte Vergütung mit sich bringe, lässt das Ifa nicht gelten: „Jedes Vergütungssystem bietet grundsätzlich die Möglichkeit von Fehlanreizen und Interessenskonflikten.“ Das Problem müsse durch Regulierung gelöst, Fehlverhalten solle sanktioniert werden.
Methodische Schwächen und Inkonsistenzen
Die Kritik an der EU-Kleinanlegerstudie ist mit dem aktuellen Vorstoß um ein Kapitel reicher: Zuletzt mussten die Kantar-Studienautoren einen Rechenfehler einräumen: Demnach kosten, wie in der Studie behauptet, Produkte mit Provision nicht 35 Prozent, sondern zwischen 24 und 26 Prozent. „Unabhängig von der Tatsache, dass die Ergebnisse der Studie falsch interpretiert wurden, weist die Kantar-Studie einige methodische Schwächen, Inkonsistenzen, etc. auf, welche die Aussagekraft weiter stark einschränken“, lautet das vernichtende Fazit der Ifa-Wissenschaftler.
Selbst ein Befürworter der Honorarberatung warnte kürzlich vor einem Provisionsverbot: Davor Horvat, Vorstand des Karlsruher Finanzberatungsunternehmens Honorarfinanz, prognostiziert eine ganze Reihe an Kollateralschäden, „für den Verbraucherschutz, für Haushalte mit niedrigen Einkommen als auch für die große Zahl der redlich arbeitenden Finanzdienstleister“. Auch er spricht sich für Gesetzesverschärfungen statt eines Provisionsverbots aus. Denkbar wäre eine Änderung in den Zugangsbeschränkungen für Finanzberater: Diese sollten mindestens eine zweijährige Berufsausbildung inklusive IHK-Prüfung absolvieren, bevor sie in ihrem Beruf tätig werden dürfen. Auch ein Provisionsdeckel hält er für sinnvoll, weil dann Strukturvertriebe, „die mit Überprovisionen ihre Karrieremodelle finanzieren, nicht mehr auf maximalen Verkaufserfolg“ aus sind. Die Ifa-Autoren erwähnen ebenfalls einen solchen Deckel, halten sich mit einer Empfehlung diesbezüglich aber zurück.