Strittige Rechtsfrage

Gibt es eine spontane Anzeigepflicht vor Vertragsschluss?

Müssen Versicherungsnehmer mehr von sich preisgeben, als sie vom Versicherer gefragt werden? Über diese Frage können Versicherungsmakler und Kunde in eine Zwickmühle geraten. Was Rechtsanwalt Fabian Kosch hier rät.

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14:07 Uhr | 03. Juli | 2023
Anzeigepflicht

Müssen Versicherungsnehmer mehr preisgeben, als sie gefragt werden? Über diese Frage wird sich in Justizkreisen gerne gestritten.

| Quelle: 12963734

Gibt es eine spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers? Oder anders gefragt: Was muss der Kunde vor Vertragsabschluss dem Versicherer mitteilen? Nur das, wonach dieser fragt? Oder ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, von sich aus auf womöglich risikorelevante Punkte hinzuweisen?

Diese Frage stellt und beantwortet Rechtsanwalt Fabian Kosch in einem aktuellen Newsletter der Hamburger Rechtsanwaltskanzlei Michaelis.

Grundlage ist erst einmal Artikel 19 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), der die vorvertragliche Anzeigepflicht regelt. Hier heißt es seit der Reform im Jahr 2007:

Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.

Dies klingt erst einmal eindeutig: Nur was der Versicherer bzw. der Versicherungsvertreter auch fragt, muss vom Kunden beantwortet werden. Dieser ist nicht verpflichtet, sich selbst Fragen und damit entsprechende Antworten auszudenken.

Nur in Ausnahmefällen

Jetzt kommt jedoch das „aber“. Denn laut Kosch können Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen einer spontanen Offenbarungsobliegenheit verpflichtet sein. Dabei muss es jedoch um außergewöhnliche bzw. besonders wesentliche Informationen handeln, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ein Mitteilungsbedürfnis auch dann aufdrängt, wenn er nicht explizit danach gefragt wird. 

Das OLG Celle spezifizierte 2016 in einem Urteil, in dem es um die Pflegetagegeldversicherung für ein Kind mit Entwicklungsverzögerung ging, dass die spontane Anzeigepflicht nur bei Umständen gelte, die zwar offensichtlich gefahrerheblich, jedoch auch so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werde könne (Az: 8 U 101/15). Eine Entwicklungsverzögerung sei jedoch alles andere als ungewöhnlich und selten, so das Gericht. Entsprechend hätte der Versicherer im vorliegenden Fall danach fragen müssen.

Da die Gesundheits- bzw. Risikofragen der Versicherer immer umfangreicher differenzierter werden, stellt sich die Frage nach der spontanen Anzeigepflicht höchst selten. Dennoch rät Kosch dazu, diesen Punkt im Beratungsgespräch anzusprechen und auf die möglichen Folgen, sprich die Leistungsfreiheit des Versicherers, hinzuweisen.

Makler und Kunde in der Zwickmühle

Gleichzeitig steigt mit jeder weiteren Angabe gegenüber dem Versicherer das Risiko, dass dem Kunden der gewünschte Versicherungsschutz verwehrt bleibt. Man steckt ensprechend in einer Zwickmühle.

Kosch rät dazu, dies Problematik umfassend zu dokumentieren, „damit er [der Kunde] nicht später behauptet, Sie hätten gesagt, dass nur die Antragsfragen wahrheitsgemäß zu beantworten sind, wenn Ihnen als Makler ganz ungewöhnliche gefahrerhebliche Umstände bekannt sind“.