Verhandlung

Neues Gericht entscheidet über Scheinselbständigkeit bei der DVAG

In einem aktuellen Prozess gegen die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) geht es um die mögliche Scheinselbständigkeit eines langjährigen Direktionsleiters. Sollte eine vorsätzliche Scheinselbständigkeit vorliegen, könnte der Fall ein strafrechtliches Verfahren nach sich ziehen.

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11:04 Uhr | 22. April | 2024
Intransparente Kickback-Zahlungen: DVAG erneut in der Kritik Bild: DVAG

Die Kritik an der Deutschen Vermögensberatung AG reißt nicht ab. Der aktuelle Vorwurf lautet: unübliche Kickback-Zahlungen, die Kunden zum Verhängnis werden. Bild: DVAG

Selbständiger Handelsvertreter oder Scheinselbständiger? In der vergangenen Woche ist es zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht gekommen, bei der es eigentlich darum gehen sollte, ob ein langjähriger Direktionsleiter der DVAG wirklich als selbständiger Handelsvertreter für die DVAG tätig war oder er vielmehr als abhängig Beschäftigter, also als Scheinselbständiger, anzusehen ist.

Wie "Versicherungsmonitor" berichtet, drehte sich die Verhandlung aber zunächst um den richtigen Rechtsweg: Das Arbeitsgericht Kassel hatte beschlossen, dass es sich nicht um einen arbeitsrechtlichen, sondern um einen zivilrechtlichen Fall handelte, wogegen der Kläger Beschwerde eingelegt hatte. Doch das Hessische Landesarbeitsgericht bestätigte am Mittwoch diese Auffassung: Der Fall wird nun also zivilrechtlich verhandelt und als zuständiges Gericht wurde das Landgericht Frankfurt am Main festgelegt.

Worum es in dem Prozess geht

Wie "Fonds Professionell Online" berichtete, war der Kläger Direktionsleiter bei der DVAG. Allerdings war er vor allem als Ausbilder für neue Vermögensberater zuständig. So kommt auch seine Argumentation vor Gericht zustande, dass er nicht wirklich selbstständig tätig war. Er musste sich angeblich bezüglich der Schulungstermine, -orte und auch -inhalte an die Vorgaben der DVAG halten. Deshalb ist der Kläger der Ansicht, dass er kein selbständiger Handelsvertreter mehr war.

Offenbar ging es dem Kläger in erster Linie um seine Altersregelung. Würde der ehemalige Vermögensberater mit seiner Klage durchkommen, müsste die DVAG rückwirkend Renten- und Sozialversicherungsbeträge zahlen.

Rechtliche Beurteilung

Dass gewisse Vorgaben im Strukturvertrieb dazugehören, wie beispielsweise die Versicherungsprodukte der Generali verbunden mit vorgegebenen Werbematerialien oder Schulungen, ist hinlänglich bekannt. Dennoch ist die Annahme einer Scheinselbständigkeit laut Rechtsanwalt Stephan Michaelis immer von einem Gesamtbild abhängig, das sich rechtlich nicht so leicht beurteilen lässt, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.

Wie Michaelis gegenüber procontra erläutert, hängt die Beurteilung von Scheinselbständigkeit von verschiedenen - bereits häufig von Gerichten festgestellten - Punkten ab.

Unternehmerische Freiheit: Diese ist gegeben, wenn der Selbständige seine Arbeitszeit und -kraft frei einteilen kann. Weiter stellt sich die Frage, wie stark er in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden ist und ob er weisungsgebunden agiert. Hat er eine Firmen-Email-Adresse? Einen festen Schreibtisch in den Büroräumen? Muss er Urlaub beantragen?

Unternehmerisches Risiko: Wer trägt das Risiko, wenn Einnahmen wegbrechen? Wer trägt die Kosten für ein Büro, das Inventar oder die Weiterbildungsmaßnahmen?

Gerade wenn es um das eigene wirtschaftliche Risiko geht, ist dieses bei Vertriebsmodellen, die eine Vergütung bei Abschluss vorsehen oder auf Provisionen basieren, häufiger gegeben. Zudem spricht es für eine Selbständigkeit, wenn der Berater eigenes Kapital einbringen muss.

Strahlkraft auf die 18.000 Vermögensberater der DVAG?

Vielfach wird kolportiert, dass das Urteil eine Strahlkraft auf die 18.000 Vermögensberater im Strukturvertrieb der DVAG haben könnte. Das sieht Rechtsanwalt Michaelis allerdings differenzierter: Gerichte schauen sich immer nur den Einzelfall in seinem Gesamtbild an. Allein weil bei einem Vermögensberater die Scheinselbständigkeit festgestellt würde, sei dies nicht automatisch auf alle anderen übertragbar.

Auch strafrechtliche Konsequenzen denkbar

Sollte es wirklich dazu kommen, dass das Unternehmen der vorsätzlichen Beauftragung von Scheinselbstständigen überführt wird, müssten die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung inklusive Säumniszuschlägen und auch die Lohnsteuer nachgezahlt werden. Zudem könnten strafrechtlich Konsequenzen folgen, denn das Finanzamt wertet die nicht entrichtete Lohnsteuer als Steuerhinterziehung. In Abhängigkeit vom Umfang der Steuernachforderungen wird der Fall als Ordnungswidrigkeit (bei leichtfertiger Steuerverkürzung) oder als Straftat (bei Steuerhinterziehung) eingestuft. Bei Steuerhinterziehung ist in anderen Fällen eine strafmindernde Selbstanzeige möglich, das gilt jedoch nicht mehr, wenn die Ermittlungen schon laufen.