Ist eine Pflichtversicherung die Lösung?
Rund 8,5 Milliarden Euro kosteten die Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 die deutschen Versicherer. Zahlreiche Gebäude und deren Inhalt sowie Kraftfahrzeuge wurden zerstört und beschädigt, mehr als 180 Menschen verloren ihr Leben. Doch es war Wahlkampfzeit. Der heutige Bundeskanzler sowie sein Herausforderer beeilten sich, vor laufenden Kameras, ihre Solidarität auch mit denjenigen Hausbesitzern zu zeigen, die sich ihre vier Wände nicht gegen Elementarschäden versichert hatten.
Nicht einmal jedes zweite Haus versichert
Und das sind immer noch viele: Laut Umweltbundesamt sind bundesweit nur 43 Prozent der Wohngebäude und 24 Prozent der Wohnungsinhalte über die klassische Wohngebäude- und Hausratversicherung hinaus mit einer erweiterten Elementarschadendeckung ausgestattet. Dabei schwanken die Anteile zwischen 28 Prozent der Wohngebäude in Bremen und 94 Prozent in Baden-Württemberg. Der Südwesten ist allerdings ein Sonderfall, denn hier mussten bis 1994 die Häuser pflichtweise elementarversichert werden.
Anfang März setzte der Bundesrat auf Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die Bundespolitik mit einer Entschließung zur bundesweiten Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung unter Druck. Vorausgegangen war ein Bericht der Justizministerien der Bundesländer 2022, wonach es keine grundlegenden, verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Pflichtversicherung gebe.
Freiwillige Versicherung, verpflichtende Staatsvorsorge
Allerdings gilt Bundesjustizminister Buschmann (FDP) als Gegner einer bundesweiten Regelung. „In einer Zeit höchster finanzieller Belastungen privater Haushalte sollten wir von allem die Finger lassen, was Wohnen und Leben in Deutschland noch teurer macht“, äußerte er sich im Dezember gegenüber dem Handelsblatt. Dasselbe Argument führte die Bundestagsabgeordnete Anja Schulz (FDP) auf der Wissenschaftstagung des Bundes der Versicherten Mitte Mai ins Feld. Ihrer Ansicht nach sollte der Abschluss einer erweiterten Elementarschaden-Versicherung weiterhin freiwillig bleiben.
Viel wichtiger sei es, den Staat zu verpflichten, mehr Vorsorge zu betreiben. Beispielsweise müssten die Kommunen angehalten werden, nicht mehr in hochwassergefährdeten Lagen Bauland auszuweisen und den Hochwasserschutz zu verbessern. Dass Vorsorge wichtig ist, betonte auch Stefan Schmidt, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Aber seiner Meinung nach führt kein Weg an einer Pflichtversicherung vorbei. Diese solle zwar grundsätzlich marktwirtschaftlich organisiert werden, also weiterhin über private Versicherungen, aber zugleich eine soziale Komponente enthalten. Insbesondere plädierte Schulz dafür, dass Eigentümer die Kosten nicht ohne Weiteres auf Mieter umlegen können.
Viele Vorschläge mit Pflichtelementen
Auch die Branchenverbände haben sehr unterschiedliche Vorstellungen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) legte bereits 2021 nach dem Ahrtal-Desaster einen Vorschlag vor, neu errichtete Gebäude verpflichtend mit einer Elementardeckung unter anderem gegen Hochwasser und Starkregen auszustatten, sofern sich der Staat gleichzeitig verpflichtet, Bauverbote in stark gefährdeten Lagen zu erlassen. Auch alle privaten Bestandsgebäude sollten auf Basis einer gesetzlichen Regelung automatisch mit einem solchen Schutz ausgestattet werden, aber im Sinne einer Opt-out-Lösung mit der Möglichkeit für den Gebäudeeigentümer, den Schutz wieder abzuwählen.
Der Bund der Versicherten schlug dagegen vor, einen öffentlich organisierten Fonds einzurichten, der aber von der privaten Versicherungswirtschaft verwaltet wird. Die Finanzierung sollte über einen Zuschlag zur Grundsteuer erfolgen, den aber nur diejenigen Gebäudebesitzer zahlen müssten, die sich nicht selbst gegen Elementarschäden versichert haben. So entstehe ein Druck sowohl auf die Gebäudebesitzer zum Versicherungsabschuss als auch auf die Kommunen, damit die nicht Vorsorgemaßnahmen unterlassen und dafür überhöhte Zuschläge zur Grundsteuer verlangen.
Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen will eine Pflichtversicherung, aber abweichend eine Allgefahrendeckung in Verbindung mit einer Opt-out-Möglichkeit. Noch ein anderer Vorschlag aus dem Lager des Verbraucherschutzes sieht eine gesetzlich verpflichtende Basisversicherung mit sehr hoher Selbstbeteiligung als reine Existenzabsicherung vor, die optional zum Vollschutz aufgestockt werden kann.
Ohne die Bundesländer und die Kommunen geht es nicht
Alle Vorschläge haben gewichtige Nachteile. So ist das Baurecht Ländersache, und die konkrete Umsetzung erfolgt noch kleinteiliger vor Ort in den Kommunen. Wer aber will es der Lokalpolitik insbesondere von finanziell gebeutelten Orten verdenken, Filetstücke an Grund und Boden mit freiem Blick auf das nächste Gewässer zu vermarkten und die Gemeindekasse aufzubessern. Viele Gemeinden sehen sich mit den Lasten aus der ungebremsten Zuwanderung von Geflüchteten und vielen anderen Belastungen allein gelassen, die sie selbst nicht beschlossen und verantwortet haben, die sie aber bezahlen müssen.
Bei allen Vorschlägen wird ein Einverständnis mit allen Ebenen der föderalen Verwaltung benötigt, insbesondere, was die von allen Seiten geforderte Vorsorge und Beschränkungen des Baurechts angeht.
Neue Gerechtigkeitsdebatten
Das nächste Problem ist, dass jede Lösung aus Sicht zahlreicher Betroffener zu Ungerechtigkeiten führt. Die gegenwärtige „Ampel-Regierung“ wird von der SPD angeführt, die das Schlagwort Gerechtigkeit bei jeder Gelegenheit im Mund führt, und auch die Grünen sind schnell dabei, soziale Unausgewogenheiten anzuprangern. Und selbst die FDP sorgt sich darum, dass sich nicht jeder Hauseigentümer 20 Euro im Monat für eine Elementarschadenversicherung leisten kann, so die Abgeordnete Schulz.
Wohnungseigentümergemeinschaften in die Pflicht nehmen
Es gibt aber noch weitere Handlungsoptionen, die bisher nicht näher erörtert werden. Laut dem Lobbyverband Haus & Grund Deutschland gibt es rund 1,8 Millionen Wohnungseigentümergemeinschaften mit neun Millionen Eigentumswohnungen. Das entspricht rund jedem zehnten privaten Wohngebäude.
Bis heute verlangt das Wohnungseigentümergesetz in seinem § 19 vom Verwalter nur, für eine „angemessene Versicherung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Neuwert sowie der Wohnungseigentümer gegen Haus- und Grundbesitzerhaftpflicht“ zu sorgen. Es wäre ein einfacher gesetzgeberischer Akt, diese Neuwertversicherung um den Hinweis zu ergänzen, dass diese neben den traditionellen Risiken Feuer, Leitungswasser und Sturm/Hagel auch eine erweiterte Elementarschadenversicherung mindestens gegen die Gefahren Hochwasser und Starkregen umfassen muss.
Banken und Sparkassen sitzen am Elementar-Hebel
Noch viel größer dürfte ein weiterer Hebel sein. Laut Statista wurden allein im Jahr 2020 rund 290.000 Eigenheime verkauft. Unter Eigenheim wird „ein im Eigentum einer natürlichen Person stehendes Grundstück mit einem Wohngebäude, das nicht mehr als zwei Wohnungen enthält, von denen eine Wohnung zum Bewohnen durch den Eigentümer oder seine Angehörigen bestimmt ist“, verstanden. Es ist davon auszugehen, dass der weitaus größte Teil dieser Transaktionen mit Hilfe von Krediten erfolgt.
Damit kommen die Banken und Sparkassen ins Spiel. Diese könnten vom Gesetzgeber verpflichtet werden, eine Besicherung der kreditfinanzierten Gebäude nur noch vorzunehmen, wenn ein Wiederaufbau des Gebäudes nach einem Schaden durch eine Versicherung auch gegen Elementarschäden gewährleistet wird.
Bei den Banken aber ist das Thema Elementarschadendeckung bisher eher nicht angekommen. „Kreditgebende Banken setzen oft den Versicherungsschutz einer Gebäudefeuerversicherung voraus“, teilt zum Beispiel die Commerzbank als einer der führenden Baufinanzierer auf seinen Informationsseiten der Öffentlichkeit mit. „Schützen Sie Ihr Haus gegen Brand, Blitzschlag-, Explosions-, Leitungswasser-, Sturm- und Hagelschäden“, fordert der Kreditvergleicher Interhyp auf seinen Internetseiten und erwähnt erst im weiteren Verlauf, man könne auch eine Elementarversicherung ergänzen. Bei den Sparkassen heißt es auf der Verbraucherseite immerhin, „außerdem lässt sich Ihre Hausversicherung um sogenannte Elementarschäden erweitern“. Nach einer dringenden Empfehlung oder sogar einem Muss in Zusammenhang mit einem Hauskredit klingt das nicht.
Vertrieb gefordert
Und schließlich könnte auch der Versicherungsvertrieb einen wichtigen Beitrag leisten. Schon zur Vermeidung von Haftungsansprüchen sollte jeder Versicherungsvermittler seinen Bestand durchforsten, welche Gebäude und Wohnungsinhalte bisher nicht gegen Elementarschäden versichert sind. Diesen Kunden sollten sie ein Ergänzungsangebot zusenden und sie auffordern, die Kenntnisnahme zu bestätigen, dass sie bei Nichtannahme einen Totalverlust ihrer Immobilie und ihres Hausrats riskieren.
Entrümpeln sollte der Vertrieb zudem seine eigene Argumentation. Es gibt in Deutschland keine einzige Wohnlage, in der ein Elementarschaden vollständig auszuschließen ist. Mindestens Starkregen tritt überall auf – und selbst auf Höhenzügen gelegene Grundstücke und Gebäude können überschwemmt werden, wenn die Kanalisation überfordert ist. Es ist Unsinn, Kunden von Elementarversicherungen abzuraten, nur weil ihr Gebäude nicht nahe einem Fluss gelegen ist.
Frank Rastbichler, Leiter der Abteilung Pricing und Ertragssteuerung bei der Gothaer Allgemeine Versicherung, präsentierte dazu beunruhigende Fakten auf der Tagung des Bundes der Versicherten: Die Regenmengen, die 2021 im Ahrtal, in Euskirchen oder in Hagen zu den katastrophalen Überschwemmungen führten, entsprachen historisch nicht einmal einem 100 Jahres-Ereignis. Diese Wetterlagen können sich sogar mehrmals im Jahr in Deutschland wiederholen. Dass es drei Tage hintereinander derart stark regnet, kommt alle zwei bis drei Jahre irgendwo vor. Und ein Starkregen-Ereignis mit der zerstörerischen Wirkung von „Bernd“ müsse man etwa alle 30 bis 50 Jahre erwarten, wenn auch nicht unbedingt an derselben Stelle.