Schutz anpassen

Welche Versicherungen die wachsende Zielgruppe „75+“ braucht

Immer mehr Menschen nehmen auch mit über 70 noch aktiv am Leben teil. Dazu braucht es den passenden Versicherungsschutz. Für Makler bietet das verschiedene Beratungsansätze.

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10:08 Uhr | 20. August | 2025
Aktives Seniorenpaar geht Wandern und Fotografieren

Immer mehr Menschen über 75 nehmen aktiv am Leben teil, wohnen weiter in ihren eigenen vier Wänden, reisen, treiben Sport und fahren Auto. Aber entwickelt sich ihr Versicherungsschutz entsprechend mit?

| Quelle: supersizer

Was Sie erfahren werden:

-          Welche Sparten eine seniorengerechte Beratung benötigen

-          Warum der Schutz mit dem Alter nicht zwingend teurer wird

-          Wie sich der Markt auf die wachsende Zielgruppe „75+“ einstellt

Eine 84 Jahre alte Frau ist mit ihrem Auto in ein Schaufenster in Nürnberg gefahren und hat dabei einen Passanten verletzt. Meldungen wie diese aus dem Juni tauchen regelmäßig in den Medien auf. Dass es sich dabei nicht um kuriose Einzelfälle handelt, belegen die Statistiken des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beziehungsweise von dessen Unfallforschung (UDV). Demnach ist die Zahl der Autounfälle mit Verletzten und Getöteten, an denen die Fahrergruppe im Alter „75+“ beteiligt war, zwischen 2013 und 2023 um 26 Prozent auf rund 21.500 gestiegen. Gleichzeitig ist sie insgesamt, also bezogen auf Fahrerinnen und Fahrer jeglichen Alters, um 12 Prozent auf rund 303.800 zurückgegangen.

Vereinfacht gesagt: Während die Autofahrer jünger als 75 Jahre immer sicherer unterwegs sind, bauen die älteren Semester am Steuer immer mehr schlimme Unfälle. Dies hängt aber nicht nur mit ihrem Fahrverhalten zusammen, sondern auch damit, dass immer mehr Menschen jenseits der 75 Auto fahren. Denn die UDV zeigt auch, dass in 2024 knapp 5,9 Millionen Menschen der Generation „75+“ einen Führerschein besaßen. Im Jahr 2015 traf dies nur auf 2,5 Millionen zu – ein deutlicher Anstieg um mehr als 100 Prozent in nur neun Jahren.

Diese Entwicklung zeigt auf: Menschen in ihren 70ern und 80ern, vielleicht sogar noch darüber hinaus, sind keine Ausnahmen oder „passiven Mitglieder“ im Kundenbestand von Versicherungsvermittlern. Vielmehr sind sie aufgrund der steigenden Lebenserwartung eine wachsende Zielgruppe, die Versicherungen benötigt, die zu ihrem Alter und ihrer Lebenssituation passen. Makler, die sich damit auskennen und ihre Beratung anpassen, haben die Chance, sich eine neue Kundenschicht zu erschließen oder das Cross Selling in ihrem Bestand auf ein neues Level zu heben.

Braucht die Zielgruppe „75+“ andere Versicherungen?

Doch wie sieht der Markt in diesem Segment aus? Gibt es für die Zielgruppe „75+“ eigene Tarife mit speziellen Leistungen? Müssen sie oft mehr bezahlen als jüngere Menschen? Und auf welche Feinheiten, gegebenenfalls auch Altersgrenzen, sollten Vermittler bei der Beratung achten?

In der Kfz-Versicherung sieht es so aus, dass die Anbieter ihre Produkte trotz der steigenden Führerschein- und Schadenzahlen nicht verändern wollen. Das bestätigten Huk-Coburg, Allianz und VHV auf procontra-Nachfrage. Auch die Erbringung von Nachweisen der fahrerischen Fähigkeiten sind bei den Versicherern kein Thema. Die Huk-Coburg wies zudem auf die Rabattmöglichkeiten durch Nutzung von Telematik-Tarifen hin. Dies könnte eine sinnvolle Empfehlung von Vermittlern an ihre „75+“-Kunden sein, um den Beitrag zu reduzieren. Denn eine procontra-Stichprobe bei Check24 zeigt, dass ein 76-Jähriger bei ansonsten unveränderten Daten gegenüber einem 45-Jährigen (beide SF 10) im Durchschnitt der günstigsten zehn Ergebnisse ungefähr den doppelten Beitrag bezahlen muss.

In der Kfz-Versicherung gibt es also die gleichen Tarife für Senioren wie für alle anderen Altersgruppen – nur, dass sie aufgrund ihrer Schadenstatistik mehr für den Schutz bezahlen müssen. Aber wie sieht es bei anderen Versicherungsprodukten aus? Berichten zufolge wächst die Zahngesundheit in Deutschland und die Menschen behalten folglich ihre eigenen Zähne länger im Mund. Aber lassen sich diese auch in Form von privaten Zahnzusatzversicherungen schützen, wenn man schon jenseits der 75 ist?

Sinkende Beiträge ab Alter 65

„Im Alterssegment ab 70 bis hin zu über 80 Jahren bietet der Großteil der Versicherer weiterhin die gleichen Zahnzusatztarife wie für jüngere Menschen an“, sagt Daniel Seeger, Experte für Zahnzusatzversicherungen beim Maklerunternehmen ZVO GmbH. Er beobachte, dass die Beiträge ab Alter 65 in vielen Fällen dauerhaft konstant bleiben oder sogar leicht sinken würden. „Viele Menschen haben bis dahin bereits ihren Zahnersatz abgeschlossen, sodass das versicherungstechnische Risiko nicht weiter steigt, sondern oft sogar rückläufig ist“, erklärt Seeger. Nur wenige Anbieter würden über das 90. Lebensjahr hinaus kalkulieren, was in Einzelfällen dazu führen könne, dass die monatlichen Beiträge 100 Euro übersteigen.

Auch vor dem Hintergrund der Einschnitte bei den GKV-Leistungen würde Seeger bemerken, dass die älteren Versicherten großen Wert auf hochwertigen Zahnersatz legen würden. Viele Versicherer hätten auf diese Entwicklung reagiert und das Höchstaufnahmealter für ihre Zahnzusatztarife auf 85 oder sogar 100 Jahre angepasst. Ihm seien nur wenige Anbieter bekannt, die weiterhin bei 70 Jahren die Grenze ziehen, so der Makler.

Lieber Sterbegeld und Pflege statt RLV

Deutlich weniger Bewegung in Bezug auf ältere Kunden gibt es offenbar bei der Risikolebensversicherung (RLV). Zwar werden die Rufe nach einem längeren Erwerbsleben lauter, die Menschen werden im Durchschnitt später Eltern und die Kinder sind länger auf deren finanzielle Unterstützung angewiesen als noch vor Jahrzehnten. Auch die Hauskredite laufen länger. Dennoch sieht man bei dem Maklerunternehmen impuls Finanzmanagement AG keine steigende RLV-Nachfrage bei Menschen über 70 Jahren. Das liege zum einen daran, dass deren Bedarf an Hinterbliebenenabsicherung häufig bereits durch Altersvorsorgeverträge oder Witwenrente abgedeckt sei.

„Gleichzeitig beobachten wir, dass sich Menschen über 70 Jahren verstärkt mit Themen wie Sterbegeldversicherung beschäftigen. Diese ist oft günstiger als die Risikolebensversicherung, kommt ohne Gesundheitsprüfung aus und hilft, Angehörige im Todesfall finanziell zu entlasten“, sagt Oliver Piendl, Vertriebsvorstand beim Gersthofener Maklerunternehmen impuls Finanzmanagement AG, auf procontra-Nachfrage. Auch private Pflegeversicherungen würden häufiger nachgefragt, weshalb einige Versicherer bereits passende Tarife bis zum Eintrittsalter von 70 oder 75 Jahren anbieten würden.

Die RLV jedoch sei für Menschen über 70 nur noch in wenigen Fällen – etwa zur Absicherung von Geschäftsführern einer GmbH – relevant. Damit nicht jeder Vertrag zum Leistungsfall werde, würden Verträge in der Regel nur bis Endalter 75 angeboten, so Piendl. Wer beispielsweise mit 70 noch eine RLV abschließen wolle, könne mit maximal zehn Jahren Laufzeit und sehr hohen Beiträgen rechnen. „Neben den Annahmekriterien kommt hinzu, dass beim Abschluss einer Risikolebensversicherung eine Gesundheitsprüfung stattfindet, bei der es ältere Menschen deutlich schwerer haben, diese zu bestehen“, ergänzt der Vertriebsvorstand.

Mit 80 noch eine Unfall-Police

Ein weiteres Produkt, das man lange Zeit eher nicht für die Altersgruppe „75+“ geeignet sah, ist die private Unfallversicherung. Doch mit der steigenden Lebenserwartung wächst nicht nur die Anzahl der Pflegefälle, sondern auch der Menschen, die mit über 70 und über 80 Jahren weiterhin in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Wer trotz hohem Alter fit ist, nimmt aktiv am Leben teil, treibt Sport, geht Wandern und auf Reisen. In all diesen Situationen besteht auch Bedarf für eine private Unfallversicherung. Aber: „Tarife werden in dieser Altersgruppe durchaus abgeschlossen, eine spürbar steigende Nachfrage stellen wir aktuell jedoch nicht fest“, sagt impuls-Chef Piendl.

Dennoch würden viele Versicherer auch für das höhere Alter passende Produkte anbieten – mit altersgerechten Leistungen und optionalen Bausteinen, wie zum Beispiel einer Assistance-Leistung im Alltag oder Reha-Management nach einem Unfall. Um ein Gefühl für die Beiträge zu erhalten, rechnet Piendl ein Beispiel vor: Für einen soliden Tarif mit Grundsumme von 100.000 Euro, 350 Prozent Progression, 71 Prozent Gliedertaxe und 10.000 Euro Todesfallsumme würde ein 70-jähriger Rentner über 200 Euro im Jahr bezahlen, ein 80-Jähriger über 300 Euro.

Da Versicherungen auch im Alter bezahlbar sein sollten, sei hier letztendlich der Makler gefragt, sagt Piendl. Eine individuelle Beratung sei deshalb unerlässlich, um den tatsächlichen Bedarf auch im hohen Alter zu erkennen und gezielt abzusichern.