Am Montagmorgen kam es an der Rohstoffbörse in London zu einer kleinen Sensation. Der Preis für eine Feinunze Gold hatte über Nacht einen neuen Rekordwert erklommen. Der Preis notierte zwischenzeitlich bei 1.945 Dollar – und übertraf damit das bisherige Allzeithoch vom September 2011. In Euro lag er am Montagnachmittag bei rund 1.655 Euro pro Unze.
Dass Münzen und Barren als Wertanlage insbesondere in Krisenzeiten begehrt sind, ist kaum eine Neuigkeit. Das „Handelsblatt" bezeichnete das Edelmetall jüngst als „psychologisches Therapeutikum" für Anleger. Angesichts der andauernden Pandemie rechnet die Bank of America sogar damit, dass in den kommenden zwei Jahren der Preis noch weiter steigen wird – bis 2022 haben die Analysten an der Wall Street das Preisziel auf 3.000 Dollar festgesetzt. Während die führenden Notenbanken also weiter Geld drucken und Konjunkturpakete schnüren und die Niedrig- und Negativzinspolitik auf abesehbare Zeit kein Ende nehmen wird, scheint Gold als solide Investition immer attraktiver.
procontra: Die Geldflut treibt den Goldpreis in die Höhe. Ist es jetzt sinnvoll in Gold zu investieren?
Carsten Fritsch: Wir sehen, dass der Goldpreis seit Mitte März merklich zugelegt hat und aktuell erstmals seit September 2011 über 1.800 US-Dollar gestiegen ist. Das hängt auch mit der beispiellosen Ausweitung der Zentralbankliquidität zusammen. Die Bilanzsummen und die Geldmengen steigen in einem dramatischen Tempo. Allein die Bilanzsumme der US-Notenbank FED ist seit März um zirka drei Billionen US-Dollar angestiegen. Die Geldmenge M1 der USA lag im Mai 2020 um 33 Prozent höher als im Vorjahr. Dennoch sind nach der Goldrallye zwischenzeitliche Rückschläge möglich.
procontra: Worauf sollte der interessierte Anleger achten?
Fritsch: Wenn es bei Gold zuletzt zu Preisrückgängen kam, haben sich diese nie als dauerhaft erwiesen. Für den Anleger in Europa ist es zudem entscheidend den Goldpreis in Euro und nicht in US-Dollar zu betrachten. Denn Wechselkurseffekte können die Preisentwicklung bei Gold beeinträchtigen. Das Edelmetall ist allerdings in beiden Währungen stark gestiegen, in Euro Mitte Mai sogar auf ein Allzeithoch. Auch in anderen Währungen wie etwa in Britischen Pfund, Schweizer Franken oder Australischen und Kanadischen Dollar hat Gold in diesem Jahr bereits Rekordniveaus verzeichnet. Da das spekulative Interesse der Anleger bei Gold bis zuletzt eher verhalten war, ist der Preisanstieg folglich nicht auf ein Short-Covering zurückzuführen.
procontra: Kopf oder Zahl: Was spricht noch für die Wertanlage Gold, und was dagegen?
Fritsch: Gold ist sehr liquide, wird täglich gehandelt und die Preissetzung ist sehr transparent. Die Preisentwicklung kann man in den Medien und im Internet gut verfolgen. Aufgrund der vorhandenen Liquidität sind Kauf und Verkauf von Gold jederzeit möglich. Gold weist keine stabile Korrelation zu anderen Anlagearten auf. Mal ist sie positiv, mal negativ, aber eben nie stabil. Deshalb eignet sich das Edelmetall zur Diversifikation und ist infolgedessen für jedes Portfolio zu empfehlen. Gold ist darüber hinaus eine wertstabile Anlage. Das heißt: Während die Geldmengen wie eingangs beschrieben hochschnellen, wächst das Goldangebot pro Jahr nur um etwa 2,5 Prozent. Obwohl Gold nahezu jede Krise unbeschadet übersteht, kann es auch sehr volatil sein, wie man beim scharfen Preisrückgang Mitte März sehen konnte. Da ging es innerhalb von nur einer Woche um 15 Prozent nach unten.
procontra: Gold kann man weder essen noch trinken. Warum ist es so begehrt?
Fritsch: Auch Zinsen gibt es darauf nicht. Das ist aber kein Nachteil mehr, weil die Zinsen von den Zentralbanken faktisch abgeschafft worden sind. Die Realzinsen sind vielfach negativ. Anleihen vor allem in Deutschland und Japan weisen seit einiger Zeit sogar negative Nominalrenditen auf. Die Funktion als Wertaufbewahrungsmittel erfüllt Gold dagegen immer noch. Und bei Bedarf kann es schnell zu Cash umgewandelt werden, um zum Beispiel den Konsum von Verbrauchs- oder Investitionsgütern zu bewerkstelligen.
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procontra: Das Gespräch zwischen Goldfinger und James Bond auf dem Reitergestüt ging in die Filmgeschichte ein. Geht es bei diesem Edelmetall stets um Knappheiten?
Fritsch: Wirklich knapp ist Gold nicht. Es verschwindet nicht und wird auch nicht verbraucht. Die Menge des bislang geförderten Edelmetalls liegt bei knapp 200.000 Tonnen. Das würde die derzeitige Nachfrage von 45 Jahren decken. Bei herkömmlichen Rohstoffen reden wir von einer Lagerreichweite von wenigen Monaten. In China und Indien haben wir aktuell sogar ein Überangebot an Gold, weshalb die lokalen Preise unter dem Weltmarkpreis liegen. Und obwohl Gold kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr ist, haben Zentralbanken ihre Goldbestände in den vergangenen Jahren massiv aufgestockt. Dennoch kann es auch bei Gold temporär oder lokal zu Knappheiten kommen. Das konnte man im März sehen, als es in den Comex-Lagerhäusern zu wenig Goldbarren gab und der Preis für den Goldfuture daraufhin nach oben schoss. Im Vergleich zu vielen Vermögensanlagen ist Gold allerdings Mangelware.
procontra: Warum?
Fritsch: Die von mir zuvor erwähnte weltweite Goldmenge hat in heutigen Preisen gerechnet einen Marktwert von ungefähr 11 Billionen US-Dollar. Das Volumen von Anleihen mit einer negativen Rendite liegt bei etwa 13 Billionen US-Dollar, die Marktkapitalisierung der weltweiten Aktienmärkte liegt bei über 80 Billionen US-Dollar. Gemessen daran ist Aurum in der Tat sehr knapp.
procontra: Bretton Woods, also das System fixer Wechselkurse, brach im Jahr 1973 zusammen. Der Welthandel erholt sich aktuell nur langsam. Kehren wir zu einem Fixkurs-System zurück?
Fritsch: In absehbarer Zeit erwarte ich so ein Szenario nicht. Die Regierungen und Zentralbanken werden Wege finden, um das derzeitige Geldsystem zu bewahren.
procontra: Die Bank of America hatte mit ihrer Studie „Die Fed kann kein Gold drucken“ im vergangenen April mit ihrer Prognose für Aufsehen unter Analysten und Rohstoffexperten gesorgt. Demnach soll das Edelmetall in den kommenden 18 Monaten auf 3.000 US-Dollar pro Feinunze (31 Gramm) steigen. Was glauben Sie?
Fritsch: Die Argumente sind schlüssig, wir sind da aber vorsichtiger und erwarten einen Preis von 1.800 US-Dollar pro Feinunze bis zum Jahresende. Kurzzeitig sind jedoch Preisanstiege darüber hinaus möglich. Auf Dauer sind deutlich höhere Preise aber nur schwer zu halten, weil diese die klassische Nachfrage nach Goldschmuck in Asien zerstören. Wir sehen es schon aktuell: Die Goldnachfrage in China und Indien ist wegen der rekordhohen lokalen Preise extrem schwach. Die Goldimporte sind dort ebenso massiv eingebrochen. China war zuletzt sogar Nettoexporteur von Gold nach Hongkong, was bis vor kurzem undenkbar schien. Und in Indien bestehen seit Ende März wegen der Corona-Pandemie strikte Ausgangsbeschränkungen, womit auch Schmuckgeschäfte geschlossen sind. Diese Nachfrageschwäche muss anderweitig kompensiert werden, um die Preise stabil zu halten. Dafür sorgen derzeit vor allem die Käufe von Gold-ETFs. Im ersten Halbjahr beliefen sich diese auf 734 Tonnen. Damit übertreffen sie bereits die Käufe des gesamten Jahres 2009, das bislang den Rekord hält.
procontra: Hasardeure gibt es überall und der Ölpreisverfall steckt vielen noch in den Knochen.
Fritsch: In anderen klassischen Goldnachfrageländern, wie zum Beispiel der Türkei sowie den Staaten im Mittleren Osten beobachten wir, dass die Nachfrage nach dem Edelmetall ebenso unter Druck gerät. Und zwar wegen schwacher Währungen und niedriger Ölpreise. Gemäß den Schätzungen eines renommierten Analysehauses für Gold wird die Investmentnachfrage nach Münzen, Barren und ETFs in diesem Jahr höher sein als die Schmucknachfrage. Das gab es selbst 2008/09 nicht. Aber sobald die Investmentnachfrage zum Beispiel wegen ETF-Verkäufen nachlässt, kann der Markt drehen. Die Nachfrage und der Goldpreis hängen also auch sehr stark von der Laune der Investoren ab.
procontra: Wie kann ein Anleger in das Edelmetall sicher investieren?
Fritsch: Es gibt das physische Investment in Münzen und Barren, wobei es in Deutschland seit Jahresbeginn für Anleger eine Obergrenze von 2.000 Euro für anonyme Goldkäufe gibt. Wenn man physisch gedeckte Gold-ETFs kauft, partizipiert man an der Preisentwicklung und kann sich das physische Gold auf Wunsch auch aushändigen lassen. Lagerkosten fallen dabei nicht an.
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