Ökoworld-Gründer Platow: „Der Begriff ,Nachhaltigkeit‘ ist zur Worthülse verkommen“
procontra: Herr Platow, wie haben sich die fünf Ökoworld-Fonds in der Corona-Krise bisher entwickelt?
Alfred Platow: Die Anleger schenken unserem ethischen, ökologischen und sozialen Ansatz noch mehr Vertrauen. Das vermitteln sie unseren 54 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gesprächen. Und es ist ablesbar am Anstieg der Käufe von Fondanteilen. Vom 20. Februar bis 30. Juni wurden 60 Prozent mehr Anteile verkauft als in der entsprechenden Periode des Vorjahres. Für Schwung sorgte zuvor bereits die Bewegung Fridays for Future. Die Sensibilisierung für das Menschsein sowie für eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft führen in logischer Konsequenz dazu, sich mit der Ökoworld zu beschäftigen. Mittlerweile verwalten wir gut zwei Milliarden Euro.
procontra: Kann sich auch die Wertentwicklung der Fonds sehen lassen?
Platow: Unser größter Fonds, der Ökoworld Ökovision, kommt in diesem Jahr zum Stichtag 10. September auf eine positive Performance von 3,5 Prozent – trotz des zwischenzeitlichen Einbruchs an den Börsen. Das ist deutlich besser als viele vergleichbare Konkurrenzprodukte. Der MSCI World Index notiert genau auf dem Niveau zu Beginn des Jahres; wie unser Generationenfonds Ökoworld Rock ’n’ Roll. Der Ökoworld Growing Markets schaffte bis zum 10. September ein Plus von 7,6 Prozent und der Ökoworld Klima sogar von 20,1 Prozent. Nur der Ökoworld Water for Life liegt bisher 6,3 Prozent im Minus. Nicht nur wegen Corona hinterfragen Menschen ihre Geldanlage. Sie möchten wissen, was mit den Moneten passiert, die investiert werden. Deshalb überzeugen alle Ökoworld-Fonds auch langfristig.
procontra: Welchen Investmentansatz verfolgt Ökoworld?
Platow: Unsere Fondsmanager setzen auf Stockpicking. Dabei interessiert vor allem die tatsächliche Nachrichtenlage der Unternehmen, nicht so sehr die globale Wirtschaftslage. Besonders bedeutsam sind die finanzielle Stabilität und die Wachstumsperspektive der Unternehmen. Infrage kommen nur zukunftsfähige Geschäftsmodelle und Produkte, die sich in den nächsten 50 Jahren erfolgreich entwickeln und das Leben der Menschen erleichtern, verbessern und mit Genuss ausstatten.
procontra: Wie setzen Sie das in der Praxis um?
Platow: Wir verlassen uns nie auf das Urteil externer Rating- oder Analyseagenturen, sondern machen uns selbst ein Bild von den Unternehmen. Unsere hauseigenen Analystinnen und Analysten aus dem Sustainability Research sprechen vor Ort mit Entscheidern und Arbeitnehmern. Und ich sagen Ihnen: Wenn unsere Spezialisten Verstöße gegen unseren Kriterienkatalog feststellen, hat sich ein Investment sofort erledigt. Die Berichte gehen dann für den Fonds Ökovision an unseren elfköpfigen Anlageausschuss, der entscheidet, welche Unternehmen in den Koffer der zugelassenen Aktien aufgenommen werden, die unsere Fondsmanager dann kaufen dürfen.
procontra: Wer sitzt darin und welchen Einfluss hat der Ökovision-Ausschuss?
Platow: Das unabhängige Expertengremium, in dem unter anderem Umweltingenieure und Biologen sitzen, überprüft die seitens Sustainability Research und Fondsmanagement vorgeschlagenen Unternehmen und wählt die Titel für das Anlageuniversum aus. Lehnt der Ausschuss nach dem Mehrheitsprinzip ein Anlageziel ab, dürfen die Fondsmanager nicht in diese Aktie investieren. Alle drei Jahre werden die jeweiligen Unternehmen auf Themenfelder überprüft, die tabu sind: Atomenergie, Erdöl, Rüstung, Zwangsarbeit, Chlorchemie und so weiter. Erlaubt sind grundsätzlich Gesundheit, Bildung, erneuerbare Energien, bewusste Ernährung, umweltfreundliche Mobilität, Wasserversorgung, Green Building sowie soziale Gerechtigkeit.
procontra: Nennen Sie bitte einige Beispiele aus dem Anlageuniversum der Ökoworld-Fonds.
Platow: Unsere Fonds investieren zu 90 Prozent in mittelständische Firmen. Deren Namen sind den meisten Menschen lange Zeit unbekannt. Das ändert sich dann irgendwann. Ein Beispiel ist Tomra. Die Leergutautomaten des Unternehmens stehen inzwischen in vielen Supermärkten. Tomra baut auch Recyclingcenter und Sortieranlagen. Wir waren einer der ersten Investoren beim Börsengang 1997 in Oslo. Mit dem Geld der Anleger konnte Tomra sein Geschäftsmodell hochfahren und zur Wiederverwertung von Metall, Glas, Kunststoff und Papier in vielen Ländern beitragen. Ich war auch beim Going Public des Naturkosmetikherstellers L’Occitane in Hongkong, da kannte die hier kaum einer. Analoges gilt für Shimano, einen Anbieter von Gangschaltungen für Fahrräder, Chipotle Mexican Grill, eine Schnellrestaurantkette, die für ihre Hamburger nur Fleisch von Tieren aus der Region und kontrollierter Herkunft verwendet und auch bevorzugt vegane und vegetarische Produkte anbietet, und zig andere Beteiligungen. In unserem Jahresbericht listen wir unsere Anlagen auf und beschreiben ausgewählte Investments ausführlich.
procontra: Ist der hohe Aufwand der Grund für die hohen Kosten der Fonds?
Platow: Tatsächlich sind wir die vielleicht teuerste Fondsgesellschaft der Welt. Das ist der Preis für unseren getrennten Investmentprozess und unsere Unabhängigkeit. Banken, Versicherungen und andere Dritte haben bei uns keinen Einfluss. Wir kaufen auch kein externes Research ein, geben also keine Verantwortung ab. Wir sind sozusagen der Bioladen der Fondsbranche, wo die Verkäuferin oder der Verkäufer noch weiß, auf welcher Weide das Rind glücklich war und ob die Kartoffel in gutem Bioboden gewachsen ist. Qualität hat ihren Preis. Aber was gelegentlich unter den Tisch fällt: Unsere Performancezahlen sind bereits alle nach Kosten veröffentlicht.
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procontra: Wie weit reicht Ihre Unabhängigkeit, wenn jemand mit dem großen Geld winkt?
Platow: Uns haben schon viele Leute und Institutionen hohe Millionenbeträge als Investition in unsere Fonds angeboten. Das haben wir immer abgelehnt. Es gab auch Anfragen aus der katholischen Kirche, die wir abgelehnt haben. Wir haben keine dominierenden Großanleger. Denn früher oder später könnten die versuchen, Einfluss auf die Investitionspolitik und den Investmentansatz von Ökoworld zu nehmen. Solche Adressen werden durch unsere Performance angelockt. In Wahrheit geht es ihnen nicht um die für uns wichtigen Themen wie Ernährung, Bildung und Gesundheit. Warum sollten wir solche Investoren noch reicher machen?
procontra: Und wem gehört die Ökoworld AG?
Platow: Nur die Vorzugsaktien sind an der Börse notiert. Die Stammaktien und damit die Stimmrechte sind zu 100 Prozent im Besitz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
procontra: Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist aktuell in aller Munde. Sie aber haben ihn bisher keinmal erwähnt. Hat das einen Grund?
Platow: Den Begriff verwende ich nur noch ungern – eben weil er so oft und in einer irreführenden Weise benutzt wird und verkommen ist zu einem Marketingbegriff. Jeder darf sich nachhaltig nennen. Häufig ist es nur eine Worthülse. Der Begriff ist mehr als 200 Jahre alt und stammt aus der Forstwirtschaft. Heute reden Unternehmen und Politiker gerne über Nachhaltigkeit und meinen damit Umwelt- und Klimaschutz. Tatsächlich aber subventioniert zum Beispiel das Bundesfinanzministerium den Ausstoß von Treibhausgasen durch Steuervorteile für Flugbenzin und Diesel. Solche Widersprüche gibt es zuhauf. Stets gibt es starke Interessengruppen, die eine echte Ökologisierung der Wirtschaft verhindern. Wie es tatsächlich um die Umwelt und das Klima bestellt ist, sieht man an den schmelzenden Gletschern, dem sinkenden Grundwasserspiegel in weiten Teilen Deutschlands und der Hitze im einst eisigen Sibirien.
procontra: Sie werden in Zukunft zwangsläufig mit dem Begriff zu tun haben. Die EU-Kommission hat einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vorgelegt. Mittels verbindlicher Kriterien für Fondsanbieter soll mehr Anlagegeld in nachhaltige Investitionen fließen. Wie stehen Sie dazu?
Platow: Für die Umsetzung braucht es verlässliche und vergleichbare Daten von Tausenden Unternehmen. Nach dem heutigen Stand stellen die meisten Firmen solche Informationen nicht zur Verfügung. Gleichwohl werden die Fondsanbieter ihre Produkte mit einem mehr oder weniger großen Schuss Nachhaltigkeit versehen müssen. Das riecht nach regulatorischer Nachhaltigkeitskosmetik und Greenwashing. Dem Ganzen fehlt die Überzeugung, wirklich nachprüfbar etwas verändern zu wollen. Aber generell ist es gut, dass die Diskussion lauter wird.
procontra: Der EU-Aktionsplan sieht auch vor, dass Finanzberater im Kundengespräch Nachhaltigkeitsaspekte ansprechen. Wie ist Ökoworld diesbezüglich im Vertrieb positioniert?
Platow: Wir registrieren ein gesteigertes Interesse von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Wer hätte gedacht, dass Sparkassen fast liebevoll den Generationenfonds Ökoworld Rock ’n’ Roll ins Schaufenster stellen und damit viele Kundinnen und Kunden begeistern. Das ist bemerkenswert, weil beide Finanzverbünde jeweils eine eigene Fondsgesellschaft haben. Offenbar fragen Kunden gezielt nach Ökoworld-Produkten. Die Kreissparkasse Ludwigsburg zum Beispiel vertreibt bereits seit 2012 Ökoworld und mittlerweile auch den Rock-’n’-Roll-Fonds. Und die Kreissparkasse Ostalb bewirbt seit 2019 in ihren Informationsblättern den Ökovision. Auch die Sparkasse Hilden-Ratingen-Velbert verkauft unsere Fonds. Es gibt viele weitere Beispiele aus dem Bankenbereich. So etwas freut uns natürlich.
procontra: Und der eigene Vertrieb?
Platow: Auch in unserem Privatkundenvertrieb unter der Verantwortung meines Vorstandskollegen Torsten Müller blicken wir auf einen besonders guten Verlauf zurück. Per 31. Dezember 2019 haben wir die Umsätze sowie die Stückzahl der abgesetzten Neuverträge gegenüber 2018 verdoppelt. Im Bereich der ethisch-ökologischen Rentenversicherungen laufen unsere Fondsrenten versilife und versilife garant sowie die betriebliche Altersversorgung sehr gut, ebenso der Direktvertrieb unserer Fonds über den „Hofladen“ in Hilden.
procontra: Sie setzen sich jetzt seit Jahrzehnten für eine Geldanlage gemäß ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien ein. Was treibt Sie immer noch an?
Platow: Bereits Ende der 1970er-Jahre war ich in Gorleben, um gegen den Bau des Atommülllagers zu demonstrieren. 1986 kam es zur Nuklearkatastrophe in Tschernobyl und 2011 in Fukushima. Der Atomwirtschaft muss man den Geldhahn zudrehen. Deshalb haben wir bis heute nie in Kernenergie investiert. Tschernobyl war Geburtshelfer für Ökovision. Immer ist Geld das entscheidende Mittel, um Veränderungsprozesse zu bewirken. Und Bedarf daran gibt es genug. Dabei denke ich nicht nur an Erderwärmung und Ressourcenverschwendung, sondern insbesondere an Menschen.
procontra: Zum Beispiel?
Platow: Aktuell sind Hundertausende Kinder in Syrien vom Hungertod bedroht, weil China und Russland de facto Hilfslieferungen blockieren. Es ist immer das Gleiche: Maßgebliche Kräfte sind nicht daran interessiert, zerstörerische Zustände für Menschen, Tiere oder Natur zu beseitigen. Im Gegenteil: Oft versuchen sie persönliche Vorteile daraus zu ziehen. Wenn Anleger aber bewusst handeln und ihrem Geld gewissermaßen eine soziale, ökologische und ethische Richtung geben, können sie Einfluss nehmen und dazu beitragen, diese zerstörerischen Prozesse zu verlangsamen und schließlich abzustellen. Dafür meinen Beitrag zu leisten, treibt mich heute ebenso an wie zu Beginn meines Berufslebens als „Sozialarbeiter des Geldes“ vor 45 Jahren.
Alfred Platow, geboren im Jahr 1946, gilt als Pionier der Geldanlage nach sozialen, ethischen und ökologischen Kriterien. Er studierte Sozialarbeit und Erziehungswissenschaften, bevor er 1975 ins Geldfach wechselte und gemeinsam mit Klaus Odenthal den Grundstein für die nachhaltige Vermögensberatung versiko (heute Ökoworld) legte. Auch an der Gründung der Ökobank war Platow beteiligt. 1995 gründete er mit seinen Mitstreitern die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld. Insgesamt verwaltet Ökoworld heute über zwei Milliarden Euro in fünf Fonds. Seinem Anspruch, als Investor Einfluss zu nehmen, ist Platow immer treu geblieben. Bereits 1996 wurde der Flaggschifffonds Ökoworld Ökovision Classic (WKN 974968) aufgelegt, der seitdem vielfach ausgezeichnet worden ist.
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