Warum ETF-Anlagestrategien mit Vorsicht zu genießen sind
Die Lobeshymnen auf sogenannte ETF, Exchange Traded Funds, reißen auch in der Krise nicht ab. Kein Wunder, schließlich erholen sich die Märkte früher oder später wieder und wer dann breit gestreut investiert und die Ruhe bewahrt hat, wurde in der Vergangenheit stets mit einer stabilen Rendite belohnt. So hat der Welt-Index, der MSCI World, in dem über 1.500 Unternehmen aus 23 Industrieländern versammelt sind, in den vergangenen zehn Jahren trotz aller Turbulenzen eine Rendite von durchschnittlich 13,3 Prozent im Jahr eingebracht.
Auch aus diesem Grund empfehlen Experten immer wieder diesen breit angelegten börsengehandelten Indexfonds als „günstige Standardanlage für Bequeme“, so die Autoren des aktuellen Finanztest-Spezial zum Thema ETF. Die Vorteile dieser Geldanlage liegen auf der Hand: Die Kosten globaler Aktien-ETF sind mit 0,2 bis 0,5 Prozent im Vergleich zu aktiv gemanagten Fonds (bis zu 2 Prozent) wesentlich geringer. Das spielt der Rendite in die Hände.
Und ein ETF bedeutet auch: Anleger müssen keinem Fondsmanager ihr Vertrauen schenken, der sich in seiner Auswahl irren kann. Außerdem können sie jederzeit die Titelzusammensetzung ihres ETF einsehen. Gleichzeitig können Anleger flexibel darüber entscheiden, ob und wann sie ihre Anlagen verkaufen oder halten wollen.
Mit Faktor-ETF den MSCI World schlagen
Auch wenn der Welt-ETF für Anleger eine besonders einfache und bequeme Variante der Geldanlage sein mag, kann eine andere ETF-Strategie dennoch attraktiv sein, wenn es darum gehen soll, „den Markt zu schlagen“, also eine größere Rendite als der Durchschnitt einzufahren. Allerdings ist es gar nicht so einfach, den MSCI World tatsächlich zu schlagen angesichts der bereits genannten 13,3 Prozent.
Wirtschaftswissenschaftler haben immer wieder verschiedene Faktoren analysiert, um herauszufinden, welche Strategien in der Vergangenheit zu höheren Gewinnen geführt haben. Diesen Faktoren wird dann unterstellt, dass sie auch in Zukunft renditeträchtig sind, ohne dass das Anlagerisiko in gleichem Maße steigt. Mussten Anleger früher stets einen Fondsmanager dafür bezahlen, dass er bestimmte Strategien nutzt, um das Geld zu vermehren, können Privatanleger diese Strategien mit ETF nun selbst in die Hand nehmen. Ein solcher sogenannter Faktor-ETF ist zwar etwas teurer als ein MSCI-World-ETF, doch immer noch günstiger als ein aktiv gemanagter Fonds. Für einen Strategie-ETF werden Aktien nach festen Regeln, die eben einer Strategie folgen, ausgewählt.
Finanztest führt für die aktuelle Untersuchung die sechs gängigsten Strategien auf: Value, Small Cap, Momentum, Low Volatility, Dividenden und Quality. Value gehört dabei zu den ältesten Strategien: Sie macht es sich zum Ziel, nach günstigen oder unterbewerteten Aktien im Vergleich zum Unternehmenswert zu suchen. Bei Small Cap setzen ETF auf kleinere Unternehmen, die auch tatsächlich in der Vergangenheit höhere Renditen eingefahren haben als große Aktiengesellschaften. Anleger müssen allerdings starke Nerven behalten, denn die Schwankungen des Werts kleinerer Aktien sind meist erheblich.
Eine "dumme", aber renditestarke Strategie
Bei der Momentum-Strategie setzen Anleger auf Aktien, deren Wert im vergangenen halben Jahr bis Jahr gut performt hat. Wissenschaftler belächeln allerdings diesen Weg als "dumme" Strategie, bei der es nur darum geht, einem Trend zu folgen. Auch wenn das wenig ausgeklügelt zu sein scheint, so zeigt ein Blick auf die Berechnungen von Finanztest: Die größte Überrendite im Vergleich zum MSCI World hat die Momentum-Strategie mit 2,3 Prozent gebracht. Wer stattdessen auf dieangesehenere Value-Strategie gesetzt hat, erzielte eine um 0,6 Prozent geringere Rendite.
Die Low-Volatility-Strategie macht im Prinzip das Gegenteil: Hier setzt man auf Aktien, die wenig volatil sind und damit – so die Hoffnung – stabiler und sicherer sein könnten. Das Problem: Die Rendite kann in entspannten Zeiten dem Markt deutlich hinterherhinken. Fazit: Weniger Risiko, schlechtere Performance.
Mit der Konzentration auf Dividenden erhoffen sich Anleger eine hohe Dividendenrendite. Während die Rendite dieser Strategie bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine um bis zu 20 Prozent schlechter abschnitt, habe sich das seit Beginn dieses Jahres wieder geändert.
Wer auf Quality setzt, der hat seinen Blick auf eine noch junge Strategie gelenkt: Dabei geht es um betriebswirtschaftliche Kennzeichen. Die Eigenkapitalrendite, ein stabiles Gewinnwachstum und der Verschuldungsgrad werden bewertet. Sind die Zahlen gut, wird investiert. Doch gerade, weil sich dieser Fokus noch nicht ausreichend bewährt hat, raten die Finanztest-Autoren davon ab, dass Anleger einzig dieser Strategie folgen.
Anleger, die genau das ablehnen, sich also nicht allein auf eine Strategie festlegen wollen, können auch auf den sogenannten Multi-Faktor-ETF setzen, der verschiedene Strategien bündelt. Dazu gehört beispielsweise der iShares World Diversified Multiple-Factor, der auf Aktien setzt, die zu den Strategien Value, Quality, Momentum und Small Caps passen. Allerdings performt dieser ETF schlechter als ein iShares-ETF des MSCI World: Rund drei Prozent weniger Rendite im Jahr brachte der Multi-Faktor-ETF bei gleichem Risiko.
Die Schwächen der Strategien
Die Autoren von Finanztest räumen jedoch ein, dass die tatsächliche Rendite in der Praxis selten so gut funktioniert habe, wie es in der wissenschaftlichen Theorie zuerst Anschein genommen hat. Demnach gibt es ein methodisches Problem: In ihren Untersuchungen simulieren Wissenschaftler Aktienkäufe, die das Merkmal einer bestimmten Strategie besonders stark aufweisen. Aktien hingegen, die das gewünschte Merkmal nicht haben, werden leer verkauft.
Das heißt: Die Wissenschaftler setzen auf fallende Kurse dieser Aktien, wodurch sich eine errechnete Überrendite eben nicht auf einen neutralen Markt bezieht, sondern die Rendite aus Leerverkäufe mit hinzunimmt. In der Praxis setzen Faktor-ETF diese Leerverkäufe nicht ein, das Geld fließt also nur in jene Aktien mit dem gewünschten Merkmal. In der Realität gehe damit durchschnittlich die Hälfte des theoretischen Renditevorteils, den Wissenschaftler errechnet haben, verloren.
Ein anderes Problem bestehe, laut Finanztest, darin, dass etwas, das in der Vergangenheit gut funktioniert hat, einfach auf die Zukunft übertragen wird. Doch wer sagt, dass der Markt immer nach den gleichen Strategien funktioniert? Zumal: Wird eine Strategie zu beliebt, schmälert das die Rendite: Gibt es beispielsweise einen Run auf kleine Aktiengesellschaften, weil diese sich angeblich besser entwickeln als große, legen mehr Menschen ihr Geld genau dort an. Das wiederum treibt den Aktienkurs in die Höhe und kann die künftige Rendite verringern.
Auch würden nicht immer die realen Handelskosten in den wissenschaftlichen Analysen einbezogen werden: Wer beispielsweise die Momentum-Strategie befolgt und regelmäßig in andere Aktien investiert, handelt mehr, muss also mehr Handelskosten abtreten. Auch das kann die Rendite entsprechend verringern.
Ganz gleich, wie sich Anleger entscheiden mögen: ETF machen das Risiko erträglicher und ein langfristiger Vermögensaufbau ist gerade in Zeiten unsicherer Renten und drohender Rentenlücke unabdingbar. Börsenmuffel empfehlen die Finanztestexperten den Weltindex als 1. Wahl, schließlich bleibt die Konzentration auf Einzelaktien ein riskantes Spiel.