Daniel Bahr: „Beschämend, dass es erst eine Pandemie brauchte, um Innovationen voranzubringen“
Was hat Versicherungen bislang zurückgehalten? Warum gelingen unter dem Druck der Corona-Krise der Branche nun plötzlich Innovationen, die schon lange vorher hätten umgesetzt werden können? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Teilnehmer der virtuell stattfindenden Diskussionsrunde auf der vom Insurtech Hub München veranstalteten Konferenz „Health X Insurance“ an diesem Donnerstag.
Unter den Experten war auch Ottonova-Chef Roman Rittweger. Dass sich die PKV in Deutschland als „Krankenversicherer“ statt wie im Englischen als „Health Insurance“, also Gesundheitsversicherung, versteht, sieht der Gründer historisch gewachsen. Der Gedanke zum Assistenten und Coach zu werden, entwickele sich erst langsam. In diesem Kontext pries Rittweger auch die eigene Vorreiterrolle: Start-ups wie Ottonova hätten den Weg für Innovationen erst geebnet. „Wir haben für vieles gekämpft, das lange Zeit noch illegal war“, sagte er mit Verweis auf das Thema Telemedizin. Der Krankenversicherer führte in den vergangenen Jahren mehrere Gerichtsprozesse, um digitale Arztbesuche zu ermöglichen – ein steiniger Weg. „Was zuvor eine Revolution war, ist im Zuge der Pandemie jetzt plötzlich normal.“
Versicherer stehen unter zunehmendem Kostendruck
Daniel Bahr, ehemaliger Bundesgesundheitsminister (FDP) und heute Vorstand der Allianz PKV, begrüßte den Wandel der Krankenversicherer hin zum Gesundheitsassistenten, den er seit gut fünf Jahren im Gang sieht. Eine Erklärung für die Metamorphose liegt ihm zufolge auch im ganz praktischen Kalkül der Anbieter: Die sich verschlechternde Situation am Kapitalmarkt erhöhe den Druck auf die Versicherer. In früheren Zeiten sei es schlichtweg weniger relevant für die PKV gewesen, in die langfristige Gesundheit ihrer Kunden zu investieren, und sie als Partner in einem gesunden Lebenswandel zu unterstützen. Das ist heute anders, die Kosten in PKV und GKV stiegen erst zuletzt erheblich.
Dass es erst eine Pandemie brauchte, um Innovationen voranzutreiben, hält Bahr derweil für beschämend für den Privatsektor. Lob gab es aber für den amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der als aktiver Unterstützer der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen gilt. Den größten Hemmschuh sieht Bahr derweil in der allzu zögerlichen deutschen Herangehensweise: Verbreitet sei ein überhöhtes Anspruchsdenken, alles von vornherein hundertprozentig umzusetzen. Das gehe wiederum mit einem allzu zögerlichem Vorantreiben von Neuerungen einher: Vor dem Start der elektronischen Gesundheitsakte sei beispielsweise verlangt worden, dass jeder Bürger diese nutzen wird. Mit dem Ergebnis dass jahrelang darum gerungen wurde. Heute sehe er eine solche Herangehensweise kritisch. Es sei völlig legitim, Innovationen erst im kleineren Maßstab voranzubringen - nach dem Prinzip: Gute Ideen setzen sich durch.
Trial and Error statt Perfektion
Einfach machen, statt ewig planen: Dafür plädierte auch Dr. Robert Schnitzler, Managing Director von RoX Health, einer Ausgründung des Pharmakonzerns Roche: „Ausgewählte Gruppen sind schneller dazu bereit, neue Lösungen zu adaptieren. Davon könnten auch Versicherungen profitieren, wenn sie neue Gesundheitslösungen ausprobieren möchten." Das Unternehmen bietet Start-ups Expertise aus dem Gesundheitswesen und verfolgt das Ziel, dass deren Lösungen wie beispielsweise medizinische Apps innerhalb des Digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) von den Krankenkassen erstattet werden.
Aber wollen – vor allem junge – Versicherte sich so intensiv mit Gesundheitsthemen beschäftigen, Apps herunterladen und in einem stetigem Austausch mit ihrer Versicherung stehen? Roman Rittweger sieht dafür eine Bereitschaft, zumal Lösungen via App & Co. besonders unkompliziert und damit niedrigschwellig seien: "Unsere zufriedensten Kunden sind diejenigen, die eng mit uns in Kontakt sind, uns als Partner sehen und im Gegenzug maßgeschneiderte Angebote von uns bekommen"