Jede zehnte Schadensmeldung in Deutschland ist dubios
Jeder zehnte Deutsche hat nach eigener Aussage schon einmal einen Versicherungsbetrug begangen – oder zumindest Wissen darüber, dass in ihrem näheren Umfeld betrogen wurde. Das hat eine repräsentative Infas-Quo-Studie im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ergeben. Die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen – aber allein, dass so viele Menschen kriminelle Machenschaften bereitwillig in einer Umfrage offen zugeben, sollte hellhörig machen.
„Versicherungen beruhen auf dem Solidarprinzip“, betonte Rüdiger Hackhausen, Vorsitzender der Kommission Kriminalitätsbekämpfung des GDV im Mediengespräch am Donnerstagvormittag. Laut der Studie zum Thema entsteht den Versicherern in der Schaden- und Unfallversicherung durch Betrug ein Schaden von rund fünf Milliarden Euro im Jahr. Die Unternehmen gehen davon aus, dass jede zehnte Schadenmeldung dubios ist. Betroffen sind vor allem die Sparten Haftpflicht und Hausrat, in denen die Fälle teils weniger komplex sind und in denen es um vergleichsweise kleinere Summen geht. Brillen und Handys gehören dabei zu den häufigsten gemeldeten Objekten. „Kommt zum Beispiel ein neues IPhone auf den Markt, steigen die Schadenmeldungen zu kaputten Handys sprunghaft an", nennt Hackhausen als Beispiel.
Besonders jüngere Versicherte unter 29 Jahren zeigten sich offen für Betrügereien, 20 Prozent von ihnen haben Verständnis dafür, wenn andere sich Leistungen bei Versicherungsunternehmen erschleichen. Insgesamt ist die Akzeptanz für Versicherungsbetrug laut Umfrage jedoch gering. Nur jeder Zehnte findet, dass ein solches Vergehen ein Kavaliersdelikt sei.
Drei Tätertypen
Der Frage „Warum wird man Versicherungsbetrüger?“ widmete sich Abdou Gabbar, Fachanwalt für Straf- und Arbeitsrecht. Zwar gibt es „den typischen Betrüger“ nicht. Allerdings lassen sich laut Gabbar die Täter grob in drei Gruppen einteilen.
Diese dritte Gruppe, so die Vermutung des Verbands, könnte bedingt durch die Corona-Folgen deutlich wachsen. „Auch diejenigen, die bisher unauffällig waren, könnten aufgrund ihrer Notlage dazu tendieren, diese Karte zu ziehen“, so die Befürchtung von Strafanwalt Gabbar. Bereits jetzt gibt es laut Hackhausen Hinweise darauf, dass pandemiebedingte Betrugsfälle sich häufen – sowohl im privaten als auch im gewerblichen Bereich. Als Beispiele dafür nannte er angebliche Einbrüche bei Einzelhändlern, bei denen Saisonware wie Sommerkleider gestohlen worden sein sollen.
So reagieren die Versicherer
Vor allem das Internet stellt die Versicherer vor neue Herausforderungen. Betrüger können ihre Methoden verfeinern, indem sie sich in Foren über neue Maschen austauschen. Hier finden sich beispielsweise Anleitungen, wie sich eine Schadenmeldung so glaubhaft formulieren lässt, dass die Versicherung keinen Verdacht schöpft. Auch ließen sich gefälschte Kartons mit den Logos von Luxusartikeln bestellen, die als Beweis für deren Erwerb dienen sollen.
Dieser Professionalisierung versucht die Branche beizukommen. „Die Betrugsabwehr der Versicherer hat darauf reagiert, beispielsweise durch die Weiterentwicklung von Software zur Erkennung von Betrugsindizien oder den Einsatz speziell geschulter Mitarbeiter“, sagte Hackhausen. Auch die Bildforensik gewinne bei der Betrugsabwehr immer mehr an Bedeutung. Denn Betrüger könnten mit Programmen wie Photoshop Fotos als Schadensnachweis manipulieren. Zudem gebe es neue Spezialabteilungen zur Betrugsabwehr und Schulungen zu Gesprächstechniken, mittels derer Betrüger enttarnt werden sollen. „Wir prüfen jeden Schaden und zahlen nie blind aus", betonte Hackhausen. Insurtechs, die oft mit verbesserter Betrugserkennung werben, sind dem GDV zufolge nicht im Vorteil: „Das IT-Knowhow und die Software sind überall ähnlich", so Hackhausen.
Aufklärung und Konsequenzen
Das Zutrauen in die Aufklärung ist allerdings vonseiten der Versicherten eher gering. Von allen Umfrageteilnehmern hält nur jeder Zweite die Aufdeckung von Versicherungsbetrug für wahrscheinlich, bei den Jüngeren sind es sogar nur 40 Prozent. Knapp 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Versicherungsbetrug vor allem die Kunden selbst und nicht so sehr den Versicherer schädigt. Bei den Jüngeren glaubt dies nur die Hälfte.
Eine Hürde für die Aufklärung: Eine Schwarze Liste, die die Namen und Daten der notorischen Betrüger sammelt, gibt es in Deutschland nicht. Zwar werden bestimmte Konstellationen mithilfe des Tools HIS vermerkt und geteilt, diese geben allerdings begrenzten Einblick. Hackhausen nennt ein Beispiel: „Wenn ein Fahrzeug mit hohem Schadenumfang gemeldet wird und derselbe Wagen später bei einer anderen Gesellschaft als Totalschaden auftaucht, wird der Querverweis gegeben.“ Dass auf solche Sachverhalte statt auf Personendaten gesetzt wird, ist im strengen deutschen Datenschutz begründet. „Andere Länder haben weniger hohe Datenschutzbestimmungen, dort ist die Aufklärungsquote höher“, erklärte Hackhausen auf procontra-Nachfrage. Das Betrugsvolumen liege europaweit aber in einer ähnlichen Größenordnung.